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27. September 1927Geburt
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Februar 1942Jugendgruppe
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Oktober 1943Haft
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20. Juli 1944Wehrertüchtigungslager
Befehle, Marschieren, Appell. So erlebte der zehnjährige Fritz Theilen nach nur wenigen Monaten das »Deutsche Jungvolk«, eine Unterorganisation der Hitlerjugend (HJ). Anfangs hatte er noch begeistert mitgemacht und sich auf Zeltlager und gemeinsame Ausflüge gefreut. Doch mit der Zeit hatte er keine Lust mehr, an den immergleichen, militärisch anmutenden Geländespielen, den vorgeschriebenen Fahnenappellen und dem ständigen Exerzieren teilzunehmen.
Er weigerte sich, bei Regelverstößen zur Strafe zu exerzieren, und wollte dafür auch keine Prügel, »Hordenkeile« genannt, ertragen müssen. Doch in der militärisch organisierten Hitlerjugend kam das einer Befehlsverweigerung gleich und wurde nicht geduldet. Da Fritz nicht einsah, warum er sich für sein Verhalten entschuldigen sollte, wurde er 1940, wie es hieß, »unehrenhaft« aus dem Jungvolk ausgeschlossen.
Fritz mit seiner Mutter und seinem kleinen Bruder Toni
Fritz’ Vater Anton Theilen verdiente sein Geld als Arbeiter bei Ford in Köln-Ehrenfeld und war bis zum Verbot der SPD im Jahr 1933 Parteimitglied gewesen. Fritz’ Mutter hatte während des Ersten Weltkrieges in einer Munitionsfabrik arbeiten müssen, seitdem lehnte sie Krieg und Gewalt ab. Im Hause Theilen wurde der Nationalsozialismus daher kritisch gesehen. Als der zehnjährige Fritz 1937 der Hitlerjugend beitreten musste, waren seine Eltern nicht begeistert. Ihnen war klar, dass Fritz dort nationalsozialistisch erzogen werden sollte.
Was machte Fritz in der Hitlerjugend?
Fritz spielte seinem Jungzugführer einen üblen Streich
Eine Sache ärgerte Fritz besonders: Jeden Samstag während des HJ-Dienstes musste er seinem Jungzugführer die Aktentasche tragen:
»Diese sich immer wiederholende Prozedur ging mir allmählich auf die Nerven. Als ich das meinem Freund Paul erzählte, sagte der ganz trocken: ›Mensch, scheiß dem Kerl doch in die Tasche!‹ Gesagt, getan. Beim Geländespiel wurden alle nicht benötigten Gegenstände auf einen Haufen gelegt, auch die Aktentasche des Jungzugführers. Während des Spiels schlichen Paul und ich […] zu der Tasche und türmten damit in den Wald.
Wir öffneten sie und entdeckten zu unserem Erstaunen, dass sich da drin nur eine Butterbrotdose mit geknülltem Papier befand; und dafür schleppt der die ganze Zeit so eine große Tasche mit sich rum, dachten wir noch. Na ja, für unseren Plan musste jedenfalls die Butterbrotdose herhalten […] Der nächste Dienst war am folgenden Samstag. Das ganze Fähnlein musste antreten, der Fähnleinführer trat vor uns und kam ohne Umschweife auf die Aktentasche des Jungzugführers zu sprechen. ›Wer hat dem Jungzugführer in die Aktentasche geschissen?‹ Brüllendes Gelächter war zunächst die Antwort. Keiner meldete sich …«
Quelle: Fritz Theilen (2003): Edelweißpiraten, Köln, S. 17.
Warum wurde Fritz aus der Hitlerjugend ausgeschlossen?
Wenn Du Dir das gesamte Interview mit Fritz ansehen willst, klicke hier: https://www.eg.nsdok.de/default.asp?typ=interview&pid=36&aktion=erstes
Dieser Rauswurf, der Fritz zunächst unbedeutend erschien, sollte ihn über Jahre verfolgen. Er wurde von seinen Lehrer/-innen ständig vor der gesamten Klasse auf seine fehlende Disziplin angesprochen und von den anderen abgesondert. Dass sein Ausschluss aus dem Jungvolk nicht vergessen war, merkte der inzwischen 14-jährige Fritz 1941, als er sich nach dem Abschluss der Volksschule beim Automobilhersteller Ford um eine Lehrstelle bewarb: Er bestand zwar die Aufnahmeprüfung, durfte seinen Ausbildungsplatz aber nicht antreten, weil er nicht Mitglied der Hitlerjugend (HJ) war. Das Ford-Werk verfügte über eine eigene HJ-Gruppe und jeder Lehrling musste zwingend dort aufgenommen werden.
So konnte Fritz zunächst nur als Page bei Ford anfangen. Erst nach Monaten wurde es ihm – nach Fürsprache seines Vaters und mehrerer Bekannter – doch noch erlaubt, seine Lehre als Werkzeugmacher zu beginnen.
Nach seinem Ausschluss aus der Hitlerjugend musste sich Fritz neue Freund/-innen suchen. Auf dem Sportplatz lernte er Hans und Maria kennen, die ihn mit einer ganzen Gruppe älterer Jugendlicher bekannt machten. Diese waren ebenso wenig wie Fritz begeistert vom Dienst in der Hitlerjugend.
Sie nannten sich selbst Navajos, nach einer Gruppe von Ureinwohner/-innen Nordamerikas, denn sie wollten ebenso unangepasst leben, wie sie sich die Navajos vorstellten. Gemeinsam machten sie Musik und unternahmen Wochenendausflüge. Schnell erkannte Fritz seine Leidenschaft: Er wollte Gitarre spielen lernen, um so die Lieder der Navajos nachspielen zu können.
Mit der Zeit löste sich die Gruppe auf. Fritz suchte nach neuem Anschluss zu Jugendlichen, die auch eine andere Vorstellung von Freizeit hatten. Über Umwege fand er Kontakt zu einer Gruppe von Edelweißpiraten. Es gab mehrere Gruppen, die sich so nannten. Sie lehnten den Nationalsozialismus ab und trugen oft ein Edelweiß als Erkennungszeichen. Das ist eine kleine weiße Blume, die als Wanderabzeichen getragen wurde. Fritz und seine neuen Freund/-innen von den Edelweißpiraten trafen sich von da an regelmäßig im Kölner Blücherpark.
Fritz war sofort Feuer und Flamme. Im Blücherpark trafen sich Jungen und Mädchen. Es wurde gesungen und herumgealbert, gelacht und auf die nächste Schlägerei mit der Hitlerjugend gewartet, die die Edelweißpiraten als Provokation empfand.
Auch beim Automobilhersteller Ford, wo Fritz inzwischen eine Ausbildung zum Werkzeugmacher absolvierte, erfuhr man von seinen Aktivitäten bei den Edelweißpiraten. Seine Eltern wurden informiert und er wurde aufgefordert, nicht mehr zum Blücherpark zu gehen. Aus Angst, seine Lehrstelle zu verlieren, hielt sich Fritz an das Verbot. Er fand jedoch schnell eine Möglichkeit, seine Freizeit wieder nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten: Er gründete einfach eine eigene Gruppe von Edelweißpiraten, die sich von nun an am Takuplatz in Köln-Ehrenfeld traf.
Wie konnte man Edelweißpiraten erkennen?
»Im Frühjahr 1942 machten sich in der Öffentlichkeit Fahrtengruppen, bestehend aus männlichen und weiblichen Jugendlichen, bemerkbar, die durch ihre betont lässige Kleidung allenthalben auffielen und Anstoß erregten. Verschiedene Angehörige dieser Gruppen trugen weiße Strümpfe, kurze Lederhose, buntes Fahrtenhemd, Halstuch und als äußeres Erkennungszeichen ein Edelweiß. Sie führten auf ihren Wanderungen Klampfen mit, sangen Fahrten- und bündische Lieder und übernachteten draußen in Zelten oder bei Bauern in Scheunen…«
Nicht nur die Kleidung der Edelweißpiraten fiel also auf, sondern auch ihre ungezwungene Freizeitgestaltung, die außerhalb der nationalsozialistischen Jugendorganisationen stattfand. Beides missfiel den Nationalsozialisten. Die Edelweißpiraten standen daher unter ständiger Beobachtung: Die mit kurzen Hosen, Halstüchern und Gitarren ausgestatteten Jungen und Mädchen wurden als »Störung der Ordnung« empfunden.
Höre Dir hier ein Lied der Edelweißpiraten an
Der ehemalige Edelweißpirat Jean Jülich sang für das Projekt »Lieder der Edelweißpiraten« des NS-Dokumentationszentrums Köln sein Lieblingslied »Es war in Schanghai« ein.
Wenn Du dir das Lied anhören möchtest, klicke hier: https://www.youtube.com/watch?v=EErilf9bwdM
Es war in Schanghai
Um Mitternacht in der Ohio-Bar,
da trafen sich drei Tramper,
die durch die Welt gezogen war‘n.
Jim Parker, der kam aus Frisco,
aus Hamburg der lange Hein
und Charly, der machte den Vorschlag:
Kameraden, wir trampen zu drein.
Auf einem Schoner
fuhren sie hinüber nach Hawaii,
unter Kokospalmen
sangen leis ein Liedel, die drei,
ein Lied voll von Liebe und Treue,
ein Lied voll von Heimat und Glück,
doch keinen, den packte die Reue
und keiner, der sehnte sich zurück.
Es zog sie weiter,
bis hinunter an das schwarze Meer,
sie bohrten Öl und wurden Reiter
in Koltschaks weißem Freiheitsheer.
Sie schlugen sich durch Russlands Steppe
Bis hinunter an den Wolgastrand,
sie kämpften für Freiheit und Rechte
und für ein geknechtetes Land.
Ach Jim, ach Jimmy,
wir müssen nun verlassen dich,
dort drunten in der Taiga,
liegt ein Grab unter säuselndem Gebüsch.
Hier hast du nun endlich deinen Frieden,
hier hast du vom langen Trampen Ruh‘,
doch wir müssen weiter nun ziehen,
immer weiter nach dem Süden zu.
Am Lagerfeuer,
ein Wind weht über die Prärie,
zur Klampfe greift der Mexikaner
und José sang ja wie noch nie.
Er sang von der dunklen Rose
und von der Puszta und Prärie,
und Charly, der kleine Franzose,
hatte Sehnsucht nach Paris.
Und weiter drunten
in einem unbekannten Afrika,
wo lichte Sterne funkeln,
weiß ich im Urwald noch ein Grab.
Ade, du mein lieber Charly,
warst mir immer ein guter Kamerad,
allein kehr zur Heimat ich wieder,
denn ich hab ja das Trampen so satt.
Kommst du nach Hamburg,
in die Hafenbar zum ›Schwarzen Hai‹,
da findest du bei Kümmel und Rum
den langen Hein, den Vagabund.
Er erzählt dir von Jimmy und Charly
und von der Puszta und Prärie
und denkt auch zurück gern an Schanghai,
wo sich dereinst trafen sie.
Auf gemeinsamer Fahrt zum Felsensee
Fritz und seine Freund/-innen unternahmen am Wochenende gerne gemeinsame Ausflüge. Ein beliebtes Ziel war beispielsweise der Felsensee. Dieser liegt in einem heutigen Naturschutzgebiet, etwa vierzig Kilometer von Köln entfernt. Hier trafen sich nicht nur Edelweißpiraten, sondern auch andere Jugendgruppen.
»Es war herrliches Wetter, als wir an einem Wochenende im Juni 1941 in Köln an Bord eines Rheindampfers gingen, der uns nach Königswinter bringen sollte. Die Freude war groß, als wir tatsächlich an Bord noch Nerother und andere Gruppen der Navajos trafen, die fast alle aus dem Ruhrgebiet kamen und genau wie wir darauf gehofft hatten, andere Gruppen vorzufinden.
Da wir damit rechnen mussten, dass die Nazis uns auflauern würden, beschlossen wir, dass jede Gruppe getrennt und nicht auf direktem Wege versuchen sollte, bis zum Abend den Felsensee zu erreichen. Darauf verließen einige Gruppen schon in Bonn das Schiff; wir fuhren bis Königswinter, und es gelang uns, das Schiff unbehelligt zu verlassen. Es waren etwa 60 Jungen und Mädchen, die am Felsensee zusammengetroffen waren. Wir bereiteten uns unsere Nachtquartiere im Freien oder in einer Höhle, bevor wir uns zusammensetzten.
Um den feindlichen Flugzeugen kein Angriffsziel zu bieten, war es verboten, nachts Feuer zu machen, deshalb mussten wir auf das Lagerfeuer verzichten. Das verdarb uns aber nicht die gute Stimmung. Die Gitarren wurden herausgeholt, und wir sangen gemeinsam unsere Lieder […] Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse wurden aufgefrischt und jeder, der etwas über die Freunde, die im Krieg waren, wusste, berichtete darüber…«
Im Oktober 1943 wurde Fritz von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) vorgeladen, er sollte in einer »ungeklärten Sache« als Zeuge erscheinen. Fritz hatte keine Ahnung, worum es ging. Zwar hatte er wenige Wochen zuvor gegen den Krieg und die Nationalsozialisten gerichtete Flugblätter verteilt, doch war er sicher gewesen, dass ihn niemand verraten hatte.
Auch andere Edelweißpiraten, mit denen Fritz befreundet war, hatten eine solche Vorladung erhalten. Was konnte das bedeuten? Ende Oktober 1943 machte sich Fritz auf den Weg zum Hauptquartier der Kölner Gestapo, dem EL-DE-Haus.
Fritz wurde verhört, geschlagen und zusammen mit 16 anderen Jungen in eine kleine Zelle im Keller des EL-DE-Hauses gesperrt. Es stellte sich heraus, dass er nur aus einem einzigen Grund zur Gestapo vorgeladen worden war: wegen seiner Zugehörigkeit zu den Edelweißpiraten.
Sogar ins Kino gehen war wegen des Krieges verboten
Am 9. März 1940 war die »Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend« in Kraft getreten –rund sieben Monate nach Beginn des Zweiten Weltkriegs. Mehrere Millionen erwachsene Männer waren in die Wehrmacht eingezogen worden. Die Nationalsozialisten fürchteten, dass die nun oftmals ohne »väterliche Aufsicht« lebenden Jugendlichen außer Kontrolle geraten könnten. Aus diesem Grund wurde eine Vielzahl von Verbote erlassen.
Wer unter 18 Jahre alt war, durfte sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr an öffentlichen Orten aufhalten. Der Besuch von Gaststätten, Tanzlokalen oder Kinos war nach 21 Uhr untersagt. Das Rauchen war verboten und wurde unter Strafe gestellt.
Nach Inkrafttreten der Verordnung hagelte es Anzeigen: Vielen Jugendlichen wurde »Herumtreiberei« vorgeworfen. Als Bestrafungsmöglichkeit stand den Polizeibehörden ab 1943 beispielsweise der Jugendarrest zur Verfügung, der auch häufig angewandt wurde. Hier konnten Jugendliche bis zu vier Wochen eingesperrt werden.
Bei dieser Strafe wurden Jugendliche an bis zu vier aufeinanderfolgenden Wochenenden eingesperrt. Sie bekamen nur Wasser und Brot, und ihnen wurde ein sogenanntes hartes Lager verordnet. Das heißt, eine Matratze zum Schlafen wurden ihnen nicht zugestanden.
Warum wurde Fritz in diesem Zellentrakt gefangen gehalten?
Mit dem Kriegsverlauf verschärften sich die Strafmaßnahmen gegen Jugendliche, die sich außerhalb der Hitlerjugend organisierten. Ihre Zusammenschlüsse wurden als »wilde« Jugendgruppen oder »Cliquen« bezeichnet. Im Westen des Deutschen Reichs, aber auch in anderen Großstädten, wie Leipzig, gab es sie. Je deutlicher sich die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg abzeichnete, desto mehr Jugendliche schlossen sich den Gruppen an. Die nationalsozialistischen Jugendorganisationen, wie die Hitlerjugend und der Bund deutscher Mädel, verloren für einige an Attraktivität.
Nun blieb es meistens nicht mehr bei dem Vorwurf der »Herumtreiberei«, sondern ganz andere Straftatbestände konnten als Grundlage einer Verhaftung dienen.
»[…] Zur Bekämpfung und Eindämmung dieser wilden Jugendgruppen stehen je nach dem Charakter des Erscheinungsbildes im einzelnen, sowie nach Art und Schwere ihrer Betätigung die Strafbestände: des Unternehmens des Hochverrats, der Widerstandsleistung gegen die Staatsgewalt, des Landfriedensbruchs, der Geheimbündelei, der Neubildung von Parteien, […] des Umhertreibens […] und des groben Unfugs zu Verfügung.«
Das hieß, dass die Edelweißpiraten schwerster Verbrechen beschuldigt werden konnten. Eine Anklage wegen Hochverrats bedeutete in Kriegszeiten oft das Todesurteil.
Die Gestapo verfolgte die unangepassten Jugendlichen hartnäckig
Am 25. Oktober 1944, also nur wenige Monate vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, entstand im Auftrag des Reichsführers der SS, Heinrich Himmler, ein geheimer Runderlass. Erneut waren die »wilden« Jugendgruppen der Anlass. Aus Sicht des Leiters des Reichssicherheitshauptamts, Ernst Kaltenbrunner, hatte sich die Situation weiter verschärft.
» I. Art und Auftreten der Cliquen
[…]
1. Cliquen sind Zusammenschlüsse Jugendlicher außerhalb der Hitler-Jugend, die nach bestimmten mit der nationalsozialistischen Weltanschauung nicht zu vereinbarenden Grundsätzen ein Sonderleben führen. […]
b) Cliquen mit politisch-oppositioneller Einstellung, jedoch nicht immer mit fest umrissenem gegnerischen Programm. Sie zeigt sich in allgemein staatsfeindlicher Haltung, Ablehnung der Hitler-Jugend und sonstiger Gemeinschaftspflichten, Gleichgültigkeit gegenüber dem Kriegsgeschehen und betätigt sich in Störungen der Jugenddienstpflicht, Überfällen auf Hitler-Jugend-Angehörige, Abhören ausländischer Sender und Verbreitung von Gerüchten, Pflege der verbotenen bündischen oder anderen Gruppen, ihrer Tradition und ihres Liedgutes usw. […]“
Wenn Jugendliche es also wagten, sich den Ansprüchen des nationalsozialistischen Staates zu verweigern und die Hitlerjugend abzulehnen, mussten sie schwere Konsequenzen fürchten: Falls sie mehrfach wegen ihrer Cliquenzugehörigkeit verwarnt worden waren, konnte beispielsweise das Jugendamt eingeschaltet werden. Sogenannte Fürsorgeerziehung, Unterbringung in einem Erziehungslager bis hin zur Haft in einem Gefängnis oder Jugendkonzentrationslager drohten. Auch ein Todesurteil war möglich.
Diese Inschrift eines Edelweißpiraten fand man in einer Gefängniszelle
»Nachdem wir unsere Personalien angegeben hatten, wurden wir ohne weitere Erklärungen in den Keller gebracht. Dann ging alles sehr schnell. Der SD-Mann, der uns in den Keller gebracht hatte, brüllte: ›Aufstellen, der Größe nach, aber ein bisschen plötzlich‹. Und dann stellte er uns lachend den ›Kellermeister‹ Hoegen vor.
Dieser, klein von Statur, bekleidet nur mit einem Hemd, Breecheshosen mit Hosenträgern und Stiefeln, in den Händen eine Hundepeitsche haltend, baute sich vor uns auf. Mit lauter Stimme erklärte er uns, wo wir uns befänden. Dann ging er drohend auf jeden Einzelnen von uns zu und stellte immer die gleiche Frage ›Warum hat man dich vorgeladen?‹ und ›Weshalb bist du in den Keller gekommen?‹ Kam nicht sofort eine Antwort auf seine Frage, schlug er erbarmungslos mit der Hundepeitsche oder seinen Fäusten zu und bedachte uns dabei mit den unflätigsten Ausdrücken.
Jetzt wussten wir, warum dieser Hoegen im EL-DE-Haus und im Gestapo-Gefängnis in Köln-Brauweiler so gefürchtet war. […] Nach einigen langen Stunden wurden wir einzeln zum Verhör abgeholt. […] ›Seit wann bist du bei den Edelweißpiraten?‹ ›Wer sind eure Anführer, sind das Sozialdemokraten oder Kommunisten? Los, rede endlich. Wer sind eure Anführer?‹ Aber trotz Drohungen und Prügel hat niemand von uns zugegeben, den Edelweißpiraten anzugehören.«
Im Gestapo-Gefängnis Brauweiler wurde Fritz als politischer Häftling eingesperrt
Nach zwei Tagen in der Zelle im EL-DE-Haus, ohne Wasser oder etwas zu essen, wurde Fritz in das Gestapo-Gefängnis in dem ehemaligen Kloster Brauweiler gebracht. Erst nach weiteren drei Wochen mit Verhören, Schlägen und kaum Verpflegung wurde der 16-Jährige entlassen.
»Die Eintönigkeit, die Abgeschlossenheit von der Außenwelt und die Ungewissheit darüber, was die Gestapo mit uns vorhatte, zermürbten uns. Von den Wächtern wurden wir ständig durch einen Türspion beobachtet; tagsüber war es verboten, auf dem Strohsack zu liegen und zu schlafen. So war es uns auch nicht möglich, wenigstens für ein paar Stunden am Tage einmal alles vergessen zu können.«
Nachdem er aus der Haft entlassen wurde, war Fritz weiter bei den Edelweißpiraten aktiv. Die Jungen und Mädchen trafen sich regelmäßig in einem Bunker in Köln-Ehrenfeld. Von dort aus planten sie gemeinsame Aktionen. Sie versuchten Lebensmittel zu »organisieren«, hörten illegal ausländische Radiosender oder malten Sprüche gegen Hitler auf Hausruinen.
In diesem Bunker an der Kölner Körnerstraße traf sich die Gruppe
Fritz war in die Kartei der Gestapo aufgenommen worden und musste sich jeden Sonntag im EL-DE-Haus melden. Er lebte in ständiger Angst vor einer erneuten Verhaftung, denn er musste damit rechnen, dann in ein Konzentrationslager eingewiesen zu werden.
Nachdem Fritz mehrfach bei der Arbeit gefehlt hatte und dann auch noch angeblich eine Schießerei zwischen Edelweißpiraten und der Gestapo stattgefunden hatte, wurde Fritz im September 1944 einfach verhaftet. Die Gestapo drohte an, es solle nun der »letzte Versuch unternommen« werden, Fritz zu einem »anständigen Volksgenossen zu erziehen«.
Ohne offizielle Anklage – und ohne, dass er eine nachweisliche Straftat begangen hatte – wurde Fritz am nächsten Tag in ein sogenanntes Wehrertüchtigungslager in Ellern im Hunsrück (im heutigen Rheinland-Pfalz) gebracht. Nicht nur Edelweißpiraten, sondern auch andere Jugendliche, die den Nationalsozialisten als »arbeitsscheu« oder »kriminell« galten, wurden dort eingesperrt.
Fritz war in diesem Wehrertüchtigungslager über drei Monate eingesperrt, bevor ihm mit Hilfe eines Tricks die Flucht gelang.
Wie sah Fritz’ Tag im Wehrertüchtigungslager Ellern aus?
»Jeden Morgen um fünf Uhr war Appell, dann wurden wir für die verschiedenen Arbeiten zur Fertigstellung des Lagers eingeteilt oder mussten um sieben Uhr zur Arbeit in die nahe gelegene Stuhlfabrik Tennhaeff ausrücken. Hier wurden wir zu Schwerstarbeiten am Gatter, im Sägewerk, auf dem Holzplatz oder in der Stuhlfabrik eingesetzt.
Andere mussten zu den Holzfällerkolonnen, was als besonders schwere Arbeit galt. Nach zehnstündiger Arbeit in der Fabrik ging die Maloche bis zur Dunkelheit im Lager weiter. Das Essen war schlecht, und die meisten von uns magerten in kurzer Zeit sehr ab. Oft wussten wir am Abend nicht, ob der Hunger oder unsere Müdigkeit größer war.«
So gelang Fritz die Flucht aus dem Wehrertüchtigungslager Ellern
Fritz arbeitete in Ellern zeitweise im Büro der Lagerleitung. Dort musste er den Telefondienst übernehmen, aufräumen oder Besorgungen für den Lagerleiter erledigen. Dafür fuhr er auch hin und wieder mit der Bahn.
Eines Tages hatte er einen genialen Einfall: Er fälschte gekonnt die Unterschrift des Lagerleiters und stellte für zwei Personen, sich selbst und einen Freund, eine Reisegenehmigung aus. Noch vor Weihnachten wollte er aus dem sogenannten Wehrertüchtigungslager fliehen und per Bahn zurück nach Köln fahren. Doch sein Vorhaben war gefährlich.
In der Nacht zum 6. November 1944 schlichen sich Fritz und sein Freund Hugo aus der Baracke in die Kleiderkammer des Lagers. Dort beschafften sie sich zivile Kleidung, damit sie während ihrer Reise nicht sofort als entflohene Häftlinge auffielen. Wichtig war auch ein Hut, um die kahlgeschorenen Köpfe, die sie sofort verraten hätten, zu bedecken.
Ein mehrstündiger Fußmarsch brachte die Jungen in die kleine Stadt Simmern und vom dortigen Bahnhof gelangten sie mit ihrer gefälschten Reisegenehmigung nach Koblenz. Die beiden hatten furchtbaren Hunger und überlegten sich erneut einen Trick, um an Proviant zu gelangen:
Sie sprachen bei der Wehrmachtskommandantur in Koblenz vor. Fritz und Hugo zeigten ihre Reisegenehmigung und verlangten dreist Verpflegung für drei Tage: Der Lagerkommandant in Ellern habe ihnen diese versprochen. Der zuständige Offizier hatte von einem solchen Befehl nie gehört, er griff zum Telefonhörer, um im Wehrertüchtigungslager persönlich nachzufragen.
Und dann hatten sie richtig Glück: In diesem Moment detonierten Bomben, ein Luftangriff der Alliierten begann. Ellern war telefonisch nicht mehr zu erreichen. Ohne weitere Nachfragen erhielten Fritz und sein Freund ihre Verpflegung und machten sich schnell davon!
Die Endstation ihrer gelungenen Flucht war Bonn, denn Fritz’ Heimatstadt Köln blieb wegen der vielen Luftangriffe unerreichbar.
Fritz erlebte das Kriegsende in der kleinen Stadt Pfronten im Allgäu. Dorthin war seine Mutter mit seinem kleinen Bruder vor der Bombardierung geflohen und Fritz war es nach seiner Flucht mit viel Glück gelungen, zu ihnen zu gelangen.
Noch immer suchte die Gestapo nach Fritz, sogar die Pfrontener Polizei war vor ihm gewarnt worden. Kaum angekommen, wurde er sogleich festgenommen und zum Verhör in die Polizeistation mitgenommen.
»Ich war verzweifelt, was soll ich ihnen sagen? Da ich glaubte, dass weiteres Lügen keinen großen Sinn mehr haben würde, erzählte ich ihnen meine Geschichte von den Edelweißpiraten […]. Als ich fertig war, schwiegen sie lange, und ich hatte das Gefühl, sie glaubten mir nicht.«
»Du bist noch sehr jung und hast wegen deiner Zugehörigkeit zu den Edelweißpiraten ja schon genug Ärger gehabt … Wir wollen dir mal glauben. Wir werden dich nicht an die Gestapo ausliefern, zumal der Krieg sowieso nicht mehr lange dauern wird. […] Du kannst nach Hause gehen …«
Die Polizisten taten das vor allem aus Eigennutz: Im Gegenzug musste Fritz nämlich versichern, nach Kriegsende dem NS-Ortsgruppenleiter und Pfrontener Polizeichef für die amerikanischen Besatzungsbehörden ein gutes Zeugnis auszustellen. Denn sie hatten Angst für ihre Unterstützung des Nationalsozialismus bestraft zu werden. Fritz hatte kaum eine Wahl: Er stimmte zu.
Auch nach dem Krieg war für Fritz nicht alles gut
Die Gestapo hatte die Edelweißpiraten als Verbrecher/-innen gebrandmarkt und viele kleinere Straftaten wurden ihnen angelastet. Die meisten hatten allerdings kaum etwas getan, was unter heutigen Maßstäben als »kriminell« gelten würde. Auch nach dem Krieg hatte Fritz noch das Gefühl, wegen seiner früheren Zugehörigkeit zu der Gruppe schlecht angesehen zu werden. Zwar galt er offiziell als politisch Verfolgter, doch als Opfer der Nationalsozialisten oder gar als Widerstandskämpfer wurde er nicht wahrgenommen.
Tatsächlich hatten die meisten Edelweißpiraten nicht an politischen Widerstandaktionen teilgenommen und waren oft auch nicht grundsätzlich gegen Hitler gewesen. Viele hatten nie die Hitlerjugend verlassen, und manche hatten sich sogar freiwillig zur Waffen-SS gemeldet. Sie hatten lediglich versucht, ihre Freizeit unabhängig zu gestalten und eine eigene Jugendgruppe aufzubauen.
Er ging an die Öffentlichkeit, trat als Zeitzeuge auf und veröffentlichte 1983 seine Autobiografie. Im April 2011 bekam er für seine Arbeit vom Oberbürgermeister der Stadt Köln das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.
Wie erlebte Fritz die Zeit nach dem Krieg?
Hier kannst Du Dir das gesamte Interview mit Fritz ansehen: https://eg.nsdok.de/default.asp?typ=interview&pid=36&aktion=erstes