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12. März 1925Geburt
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1935Hitlerjugend
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1937Swing-Jugend
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1942Verrat
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September 1942Konzentrationslager
Hans Peter Viau wurde am 12. März 1925 in Hamburg geboren und wuchs im Stadtteil Uhlenhorst auf. Die Kaufmannsfamilie Viau stammte ursprünglich aus Frankreich: Sein Großvater war 1852 von dort nach Hamburg gekommen und hatte eine Parfümerie am Neuen Wall übernommen. Die Parfümerie F. P. Samson Nfg. existierte schon seit 1835 und war die älteste Parfümerie auf dem Gebiet des späteren Deutschen Reiches. Später wurde sie von Hans Peters Vater übernommen und nach dem Zweiten Weltkrieg stieg auch Hans Peter in das Geschäft ein.
Mit elf Jahren wurde Hans Peter schwer krank. Er litt unter Blutarmut und musste einige Wochen in der Schweiz behandelt werden. Dafür wurde ihm ein Auslandsvisum ausgestellt – eine Seltenheit in der Zeit des Nationalsozialismus. Durch die Krankheit verpasste er viel Unterricht und musste eine Klasse wiederholen, wechselte schließlich sogar die Schule: Von der Oberrealschule Uhlenhorst kam er 1938 auf die evangelische Wichernschule in Hamburg-Horn.
Seine Eltern waren nicht überzeugt vom Nationalsozialismus. In der Parfümerie bedienten sie auch jüdische Kund/-innen, die sie behalten wollten. Lange Zeit unterschätzten sie die neuen Machthaber zudem.
Als Zehnjähriger trat Hans Peter daher, wie fast alle Kinder seines Alters, in die Hitlerjugend ein. Zu diesem Zeitpunkt war der Beitritt noch freiwillig, und Hans Peter fand die Aktivitäten der nationalsozialistischen Jugendorganisation am Anfang auch interessant. Aber das änderte sich nach einiger Zeit: Ihm wurde das alles zu ernst, zu zwanghaft – außerdem fand er ein neues Hobby, das viel mehr Spaß machte: das Segeln!
Auf der Wichernschule traf Hans Peter seinen Verräter
Weil sie die Kontrolle über alle Lebensbereiche erlangen wollten und Bildung dabei eine wichtige Rolle spielten, machten die Nationalsozialisten aus der evangelischen Privatschule schrittweise eine staatliche Einrichtung. Hans Peter erinnerte sich später, dass es unter den jungen Lehrer/-innen viele Konflikte gab, denn die einen standen auf der Seite der Kirche und waren dem Nationalsozialismus gegenüber kritisch eingestellt, die anderen wollten es den Machthabern recht machen.
Und eine ähnliche Spaltung gab es auch unter den Schülern. Nach Hans Peters Beobachtung waren es vor allem sogenannte Auslandsdeutsche, die ihre Zugehörigkeit zum Deutschen Reich durch besondere Linientreue zu beweisen versuchten. So sollte ihn auch Jahre später, 1942, ein ehemaliger Mitschüler, der in Honduras geboren und aufgewachsen war, als »Swingboy« bei der Gestapo denunzieren.
Warum fand Hans Peter die Hitlerjugend zuerst toll?
Die NSDAP wollte nicht nur eine Partei für Erwachsene sein, sondern auch die deutschen Kinder und Jugendlichen möglichst früh auf ihre Linie einschwören. Dazu wurde eine Jugendorganisation, die sogenannte Hitlerjugend (HJ), gegründet. Für Mädchen und Jungen ab zehn Jahren wurden »Heimatabende« und Sportveranstaltungen, Ausflüge und Aufmärsche organisiert. Um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, gab es Uniformen. Ein wichtiges Prinzip dabei war, dass die jeweilige Leitung nicht einem Erwachsenen, sondern einem älteren HJ-Mitglied unterstand, nach dem Motto »Jugend führt Jugend«.
Hans Peter fand das am Anfang toll: Vor allem die sportlichen Wettkämpfe und die Ausflüge ohne Eltern interessierten ihn. Mit der Ideologie konnte er allerdings wenig anfangen. Und als er dann über das Segeln die Swing-Musik als sein neues Hobby entdeckte, hatte die Begeisterung für die Hitlerjugend schnell ein Ende, denn beides passte nicht zusammen – in der HJ wurden deutsche Volkslieder geschmettert und mit den Hüften wackeln war verboten.
1937 kam Hans Peter über Freund/-innen in den Segelverein Niederelbe. Dessen Mitgliedschaft bestand hauptsächlich aus Handwerkern und Angestellten und viele von ihnen waren gegen Hitler eingestellt. In diesem Verein stand nicht allein der Segelsport im Zentrum des Interesses, sondern auch Musik, und zwar eine ganz spezielle: Viele der Segler/-innen waren Swing-Fans, und auf den Ausflügen wurden Grammophon und Plattenkoffer immer mitgenommen.
Auch Hans Peter wurde Anhänger der von den Nationalsozialisten verpönten Musik und fing an, Platten britischer und US-amerikanischer Swing-Gruppen zu kaufen. Anders als andere jugendliche Fans dieser Musik kleidete er sich allerdings nicht in einem besonderen Stil und trug seine Haare weiterhin kurz, so dass er äußerlich nicht als »Swingboy« zu erkennen war.
Hans Peter unternahm in den nächsten Jahren viel mit seinen Freund/-innen aus dem Segelverein. Sein Vater schenkte ihm ein eigenes Boot. Damit fuhren sie alleine auf der Elbe herum, gingen ins Eiscafé Tante Lu, ins Kino oder zu Konzerten. 1939, mit 14 Jahren, fing er an, Klarinette zu lernen und Schlagzeug zu spielen, außerdem nahm er Tanzunterricht. Zusammen mit seinen Freunden gründete er eine Swing-Bands, doch da nacheinander alle zur Wehrmacht eingezogen wurden, schlief dieses Projekt bald wieder ein.
Was störte die Nationalsozialisten denn an dieser Musik?
Swing wurde von Afroamerikaner/-innen entwickelt und galt daher für die Nationalsozialisten als »undeutsch«. Auch Musik von Juden und Jüdinnen, Jazz und andere moderne Musikrichtungen wurden als »entartet« bezeichnet. Die Ausstellung »Entartete Musik«, die am 24. Mai 1938 in Düsseldorf eröffnet wurde, sollte mit Bildern, Texten und Hörbeispielen zur Abschreckung dienen; viele Musiker/-innen wurden diffamiert und durften nicht mehr im Deutschen Reich auftreten.
Dennoch ließen sich Jazz- und Swing-Verbote nie ganz durchsetzen. Zahlreiche Jugendliche fanden in dieser Musik und im US-amerikanischen und englischen Lebensstil ein willkommenes Gegenbild zur nationalsozialistischen Gesellschaft. In Großstädten wie Hamburg und Berlin formierte sich die sogenannte Swing-Jugend: 16- bis 21-Jährige, die Tanzveranstaltungen organisierten und Jazz-Bands einluden – und die sich mit »Swing heil!« grüßten. Verhaftungswellen führten ab 1941 zu einer zunehmenden Politisierung dieser Bewegung.
Hans Peter und seine Freund/-innen waren mit ihrer Musikleidenschaft nicht allein – Hamburg war damals ein Zentrum der Swing-Jugend
In seiner Freizeit besuchte Hans Peter oft das Tanzkasino Faun am Hamburger Gänsemarkt. Dort traten bekannte Swing-Bands auf. Wiederholt wurden dort Razzien durchgeführt: Gestapobeamte suchten nach Beweisen, dass verbotene Musik gespielt wurde. Da jedoch die meisten von ihnen keine Noten lesen konnten, reichte den Musiker/-innen zur Tarnung ein simpler Trick: Sie schrieben einfach Namen »deutscher« Musikstücke über die Notenblätter.
Im September 1942 wurde es dann aber ernst: Auf einmal stand die Gestapo auch bei Hans Peters Eltern vor der Tür und wollte sein Zimmer durchsuchen. Er war von einem Mitschüler, den er schon aus der Wichernschule kannte, als Swingboy verraten worden.
Die Männer fanden keine verbotenen Schallplatten, Hans Peter musste aber trotzdem am nächsten Tag ins Stadthaus, das Hauptquartier der Gestapo, kommen und wurde verhört.
»Ich wäre ein Swingboy und hätte mich über die Propagandaplakate für die Waffen-SS lustig gemacht, die in der Handelsschule Schlankreye hingen. Dann fragten sie mich als Antialkoholiker nach dem Verbrauch von Getränken und Zigaretten. Das Protokoll fiel sehr dürftig aus und der Gestapomann wurde handgreiflich. […] Die Akte wurde also sehr dünn. Da die Gestapo jedoch Erfolge nachweisen musste, wurden noch etliche Unwahrheiten dazu geschrieben. Es gab ja weder Gericht noch Verteidigung. Ich wurde gezwungen, ein Protokoll zu unterschreiben, das nicht der Wahrheit entsprach. Ein Urteil gab es ebenfalls nicht.«
Alenka Berber-Kersovan, Gordon Uhlmann (2002): Getanzte Freiheit, Hamburg.
Für zehn Tage kam Hans Peter in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel und wurde immer wieder zu Verhören ins Stadthaus gefahren. Dann wurde er in das Konzentrationslager Neuengamme gebracht, wo er Zwangsarbeit im Klinkerwerk leisten musste. Da es keinen Prozess gegeben hatte, wusste er auch nicht, wie lange er eingesperrt bleiben würde.
Warum wurden Jugendliche wegen ihres Musikgeschmacks verfolgt?
Die Swing-Jugend – vornehmlich Jugendliche aus der großstädtischen Mittel- und Oberschicht – leistete kulturellen Widerstand. Denn obwohl Swing ebenso wie Jazz bei den Nationalsozialisten äußerst verpönt war und als »entartete Musik« galt, hörten die Jugendlichen sie weiterhin, tanzten dazu und trugen Kleidung im amerikanischen und englischen Stil. So wollten sie sich von der Hitlerjugend abgrenzen. Sie versuchten auch, sich dem Beitritt der Hitlerjugend zu entziehen und veranstalteten Partys. Die Mädchen rauchten in der Öffentlichkeit und viele schminkten sich, was für die Zeit nicht üblich war.
Ein ministerieller Bericht von 1941 spricht von »Jugendliche(n), die (...) die gesund empfindende Bevölkerung durch die Art ihres Auftretens und die Würdelosigkeit ihrer musikalischen Exzesse terrorisieren«. Eine »Polizeiverordnung zum Schutz der Jugend« von 1940 untersagte Jugendlichen unter 18 Jahren die Teilnahme an öffentlichen Tanzveranstaltungen. In der Folgezeit wurden über 300 Swing-Jugendliche durch die Gestapo verhaftet, einige kamen in Konzentrationslager.
Wer waren die Swing Kids?
Hans Peter blieb zehn Tage im Konzentrationslager Neuengamme. Wie allen Häftlingen wurden auch ihm seine persönlichen Sachen abgenommen und der Kopf kahl geschoren. Seinen Eltern erzählte die Gestapo, dass er sich in einem Erziehungslager befinden würde.
Der 17-Jährige war entsetzt, wie die Menschen hier behandelt wurden. Einige der SS-Wachmänner hatten offenbar Spaß daran, vor allem die neuen Häftlinge zu misshandeln, sie zu schlagen und zu treten. Auch Hans Peter wurde verprügelt. In einer der Baracken bekam er ein Bett und erfuhr, dass er sich dafür glücklich schätzen konnte: Häftlinge anderer Nationalitäten mussten wegen der Überfüllung des Lagers auf dem Boden schlafen.
Hans Peter musste Zwangsarbeit im Klinkerwerk leisten, wo er Tonerde schaufeln musste. Während seines Aufenthalts in Neuengamme wurden zwei polnische Häftlinge gehängt. Beim Morgenappell des zehnten Tages wurde sein Name aufgerufen: Er wurde entlassen und erhielt seine persönlichen Sachen zurück, sein Hut war sogar gebügelt worden. Bevor er gehen durfte, musste er allerdings eine Verpflichtung unterschreiben, die besagte, dass er draußen nichts über das Konzentrationslager und die Behandlung der Häftlinge erzählen dürfte. Sonst wäre er erneut inhaftiert worden.
Die Häftlinge des KZ Neuengamme mussten schwere Zwangsarbeit leisten
Die Häftlinge des KZ Neuengamme mussten schwere Zwangsarbeit leisten. Auf dem 1938 von der SS aufgekauften Gelände bei Hamburg befand sich eine stillgelegte Ziegelei, die unter Einsatz von Häftlingen wieder in Betrieb genommen wurde. Auch in einem zwei Jahre später neu errichteten Klinkerwerk wurden Ziegel für die geplante Neugestaltung des Elbufers hergestellt. 1942 kamen Einrichtungen für die Rüstungsproduktion hinzu. Mit über 85 Außenlagern war Neuengamme das größte Konzentrationslager Norddeutschlands.
Die Häftlinge kamen überwiegend aus den besetzten Ländern Europas. Sie mussten zehn bis zwölf Stunden am Tag arbeiten, die Ernährung war kaum ausreichend. Viele starben an Entkräftung. Wegen schlechter hygienischer Bedingungen weiteten sich Krankheiten zu Epidemien aus. Auch Misshandlungen durch das SS-Personal waren an der Tagesordnung. Während des Zweiten Weltkriegs waren ca. 100.000 Menschen im KZ Neuengamme inhaftiert; die Hälfte von ihnen hat nicht überlebt.
Hans Peter erfand eine Geschichte, um nicht die Wahrheit über seinen rasierten Kopf erzählen zu müssen.
Nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager kehrte Hans Peter nicht auf die höhere Handelsschule zurück, sondern wechselte auf die Privatschule Grone. Er durfte und wollte nicht wieder auf die alte Schule gehen, wo er mit seinem Verräter in einer Klasse gewesen wäre.
Da er unterschrieben hatte, nichts über seine Zeit in Neuengamme zu erzählen, und um zu verhindern, dass er den Leuten Lügen erzählen musste, wickelte er sich in den ersten Wochen einen Verband um seinen kahl geschorenen Kopf und erzählte, er habe einen Fahrradunfall gehabt.
Im Kriegseinsatz
1943 wurde Hans Peter zum Arbeitsdienst eingezogen. Danach meldete er sich als Kriegsfreiwilliger bei der Marine, denn nur so konnte er wirklich dem Zugriff der Gestapo entkommen, die ihn immer noch beobachtete. Er wurde in der dänischen Stadt Skagen ausgebildet und war später unter anderem drei Monate auf der Insel Sylt stationiert.
Im Januar 1945 wurde er zur Flugabwehr an der Ostfront abkommandiert. Am 2. Mai 1945 geriet er erst in amerikanische, dann in englische Kriegsgefangenschaft. Drei Monate später wurde Hans Peter nach Hause entlassen.
Als der Krieg zu Ende war, lernte Hans Peter zusätzlich zu Klarinette und Schlagzeug noch Saxophon und spielte in verschiedenen Bands mit. Sie spielten in Clubs, bei Tanzstunden und Studierendenbällen, auf Ausflugsschiffen und in Ostseebädern.
Da er mit der Musik nicht genug verdiente, fing er 1948 als Verkäufer in einem Herrenbekleidungsgeschäft an und half anschließend seinem Vater in der Parfümerie. Später gab er Musikunterricht in der Volkshochschule an der Hamburger Sternschanze.
Die Swing-Musik begleitete ihn ein Leben lang. Er starb am 12. Oktober 2012 in Hamburg. An seine und die Geschichte der Swing-Jugend erinnert unter anderem die KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Außerdem gibt es Filme, Theateraufführungen und sogar Musicals zu dieser Art des Widerstandes im Nationalsozialismus: Im Jahr 2001 war die Uraufführung des Musicals »Swinging St. Pauli«.