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7. April 1929Geburt
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Dezember 1941Ghetto
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7. August 1942Arbeitslager
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22. Dezember 1942Flucht
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Juli 1944Befreit
Jack war glücklich, denn seine Familie war etwas ganz Besonderes: Sein Onkel war der Bruder seiner Vaters Jankel und seine Tante war die Schwester seiner Mutter Dwore. Sie lebten alle zusammen in einem großen Holzhaus mitten im Zentrum der (damals) polnischen Stadt Nowogródek.
Für Jack war das, als hätte er zwei Mütter, zwei Väter und drei Geschwister. Eigentlich war nur Nachama seine Schwester, aber auch seine Cousins Berl und Leiser »waren wie Brüder« für ihn. Sie waren ein paar Jahre älter als er. Wahrscheinlich haben sie, wie die anderen Kinder der Gegend, viel Zeit mit dem Spielen auf der Straße verbracht.
Die Erwachsenen kümmerten sich unterdessen ums Geschäft: Sie besaßen zwei Läden mit selbstgemachten Schuh- und Lederwaren. Für die Herstellung der Waren war vor allem sein Onkel Mosche zuständig, der laut Jack »ein erstklassiger Handwerker« und »ein erstklassiger Sattler« war.
»Unser Heim war ein perfektes Beispiel für Ruhe, Liebe und Freundschaft. Obwohl dort zwei Familien zusammenlebten, kann ich mich nicht an einen einzigen Streit oder eine Meinungsverschiedenheit erinnern, nicht einmal an ein böses Wort. Die Einigkeit und Hingabe, die vorherrschten, waren erstaunlich.«
Jack Kagan; Dov Cohen (1998): Surviving The Holocaust with the Russian Jewish Partisans, London, S. 12.
Jacks Familie war eine der vielen jüdischen Familien, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Nowogródek lebten. Sie hatten ihre eigene Sprache, Jiddisch, das damals von vielen osteuropäischen Juden und Jüdinnen gesprochen wurde.
Was war das Besondere an Jacks Heimatstadt?
Als Jack 1929 geboren wurde, gehörte Nowogródek zu Polen. Heute ist es Teil von Belarus. Damals lebten viele Juden und Jüdinnen in der Stadt, sie stellten die Hälfte der rund 10.000 Einwohner/-innen. Die übrigen Bewohner/-innen waren vor allem Pol/-innen und Belaruss/-innen. Das Verhältnis untereinander war nicht immer einfach, insbesondere unter der polnischen Bevölkerung herrschten teilweise starke Vorurteile gegen Juden und Jüdinnen.
Es gab in Nowogródek ein ausgeprägtes jüdisches Leben mit mehreren Synagogen, eigenen Schulen, einem jüdischen Theater und Sportverein, eigenen Krankenhäusern und vielem mehr. Auch Jack nahm rege daran teil. Er besuchte eine jüdische Schule, in der im Unterricht vor allem Hebräisch gesprochen wurde.
Auch seine Freund/-innen waren Juden und Jüdinnen. Kontakte zwischen der jüdischen und der restlichen Bevölkerung waren eher selten. Die jüdischen Einwohner/-innen der Stadt waren oftmals arm, aber sie erhielten (finanzielle) Hilfe aus den USA – von Juden und Jüdinnen aus Nowogródek, die dorthin ausgewandert waren.
Unter sowjetischer Besatzung
Am 17. September 1939, kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, marschierte die Rote Armee in Nowogródek ein. Das Deutsche Reich und die Sowjetunion hatten wenige Wochen zuvor einen Nichtangriffspakt geschlossen und heimlich die Aufteilung Polens unter sich vereinbart. Die Stadt galt nun als Teil der Belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik.
Anfangs herrschte bei der jüdischen Bevölkerung große Erleichterung, sie hatten einen Überfall der Deutschen befürchtet. Jack beschrieb die Situation während des sowjetischen Einmarsches später in einem Buch über sein Leben.
»Manche Juden weinten vor Freude. Mit Blumen in den Händen liefen sie den Panzern entgegen, stellten sich ihnen in den Weg und warteten darauf, die Soldaten der Roten Armee küssen zu können.«
Jack Kagan (2012): Freiheit, Krieg und Rache, Berlin, S. 11.
Bald zeigte sich jedoch, dass die sowjetische Besatzung starke Auswirkungen auf das Leben von Jacks Familie haben sollte. Sie wurden nicht nur gezwungen, ihr Geschäft aufzugeben, auch das jüdische Leben wurde unter dem kommunistischen Regime stark eingeschränkt. So schlossen die neuen Machthaber etwa sämtliche Synagogen der Stadt.
Eines Tages änderte sich Jacks Leben schlagartig: Die deutsche Luftwaffe bombardierte Ende Juni 1941 seine Heimatstadt. Das Haus seiner Familie und viele weitere wurden verwüstet. Jack besaß außer der Kleidung, die er trug, nichts mehr. Um seine Familie mit den nötigsten Dingen zum Leben zu versorgen, machte er sich mehrfach auf den Weg zu seiner Großmutter. Diese lebte über zwanzig Kilometer entfernt und Jack musste den weiten Weg laufen.
»Um meine Schuhe nicht abzutragen, lief ich barfuß. Anfangs war es schwer, aber ich gewöhnte mich daran. Auf dem Rückweg brachte ich Sachen mit, die wir brauchten, wie zum Beispiel Bettwäsche.«
Jack Kagan (2012): Freiheit, Krieg und Rache, Berlin, S. 14.
Aber damit nicht genug: Nur wenige Tage nach der Bombardierung marschierte die deutsche Wehrmacht in Jacks Stadt ein. Die jüdische Bevölkerung bekam das sofort zu spüren. Es wurden ihnen nicht nur viele Dinge verboten, sie wurden auch Opfer von Gewalt und Verbrechen.
Jack wurde Ende Juli 1941 Zeuge einer Massenerschießung auf dem Marktplatz. Glücklicherweise schaffte er es noch rechtzeitig, sich in Sicherheit zu bringen. Ein Mann hatte ihn gewarnt und ihm zugerufen: »Lauf, lauf, sie fangen Juden!« Jack floh dorthin, wo er sich am besten auskannte – in seine alte, von den Bomben zerstörte Straße. Von seinem Versteck aus musste er alles mit anhören.
»Ich hörte Schüsse und eine Kapelle Musik spielen. Ich wartete eine ganze Weile und als ich nach Hause kam, hörte ich die furchtbare Nachricht, dass die SS 52 jüdische Männer selektiert und erschossen hatte.«
Jack Kagan (2012): Freiheit, Krieg und Rache, Berlin, S. 15.
Diese Erschießung war der Auftakt für viele weitere, die in den nächsten beiden Jahren folgten.
Jacks Onkel und dessen Familie wurden erschossen
Anfang Dezember 1941 befahlen die deutschen Besatzer plötzlich allen Juden und Jüdinnen, zum Gerichtsgebäude der Stadt zu kommen. Nachdem diese dort zwei Nächte lang eingesperrt waren, wurde eine Selektion unter den Gefangenen durchgeführt. Das bedeutete, dass ein SS-Mann über deren weiteres Schicksal entschied. Er schickte die in einer Schlange wartenden Menschen per Wink entweder nach rechts oder links.
Jack und seine Familie wurden in die eine Richtung geschickt, sein Onkel Mosche und dessen Familie in die andere. Während Jacks Familie in ein neu errichtetes Ghetto ziehen musste, schickte der SS-Mann seinen Onkel, seine Tante Schoschke und seinen Cousin Leiser in den Tod. Sie wurden mit über 5.000 anderen Juden und Jüdinnen in einen nahegelegenen Wald gebracht und dort am 8. Dezember 1941 erschossen. Nur Jacks Cousin Berl gelang es durch Zufall, der Erschießung zu entgehen.
»Bald nach unserer Ankunft kamen die ersten LKW mit Juden an. Es waren Männer, Frauen und Kinder. Sie wurden auf einer etwa 50 m von den Gruben entfernten Waldwiese abgeladen. Sie mussten sich sofort hinknien. Wenn ein LKW ankam, sprangen sofort 2 Männer, ich glaube es waren auch Litauer, auf den LKW und trieben und warfen die Juden herunter. Dabei benützten sie auch einen Prügel.
Dann wurden 10 Mann abgezählt und im Laufschritt ging es dann zur Grube. […] Die Juden in Trupps von 10 Mann mussten jeweils in die Grube springen und sich hinlegen, sodann begann sofort das Erschießen. Ein Kommando hörte ich nicht. Es war ein wildes Durcheinander. Es wurde mit Maschinenpistolen geschossen. Wenn sich noch etwas in der Grube regte, wurde erneut darauf geschossen.«
Zentrale Stelle Ludwigsburg 202 AR-Z 94-e/59 Bd V pp. 914-23
Jack musste in einem Ghetto leben
Seit Dezember 1941 gab es in Peresieka, einem Vorort von Nowogródek, ein Ghetto. Dort mussten anfangs alle noch lebenden Juden und Jüdinnen der Stadt, getrennt von den anderen Einwohner/-innen, wohnen. Das Ghetto war durch einen Zaun von der Außenwelt abgeschottet, konnte allerdings – vor allem zum Arbeiten – verlassen werden. 1942 mussten weitere Juden und Jüdinnen aus der Gegend dorthin umziehen, sodass tausende Menschen auf engstem Raum zusammenlebten.
Laut Jack standen jeder Person zum Schlafen nicht mehr als sechzig Zentimeter Platz zur Verfügung. Die Lebensbedingungen waren katastrophal, auch das Essen war viel zu wenig. Viele Ghettobewohner/-innen wurden Opfer von Massenerschießungen. Die letzte Erschießung fand im Mai 1943 statt, als das Ghetto aufgelöst wurde. Jack lebte zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr dort, sondern im Arbeitslager von Nowogródek.
Während der deutschen Besatzung musste ein Teil der jüdischen Bevölkerung in Werkstätten arbeiten, die sich auf dem Gelände des ehemaligen Gerichts von Nowogródek befanden. Auch Jack war dort seit dem Sommer 1942 als Sattlerlehrling tätig. Anfangs lebten die Menschen noch im Ghetto und kehrten nach der Zwangsarbeit in den Werkstätten zum Schlafen zurück.
Am 7. August 1942 wurde das Gelände jedoch von SS und Polizei umstellt und in ein geschlossenes Arbeitslager umgewandelt. Die dort arbeitenden Juden und Jüdinnen waren fortan hinter einem Zaun, Stacheldraht und Wachtürmen eingesperrt. Sie mussten im Arbeitslager in drei Baracken leben, 500 Personen auf engem Raum.
Ein missglückter Fluchtversuch
Jack reichte es. Er wollte aus dem Arbeitslager, in dem er und seine Familie leben mussten, fliehen. Sein Ziel war es, sich den Partisan/-innen im nahegelegenen Wald anzuschließen. Er bereitete sich auf die Flucht vor und besorgte sich heimlich Filzstiefel, um seine Füße so gut wie möglich zu schützen. Es war Dezember und es herrschten eisige Temperaturen. Eines Tages war es soweit: Jack konnte durch das offene Lagertor entkommen und machte sich zusammen mit anderen aus dem Lager Geflohenen auf den Weg. Ihr erstes Ziel war ein einige Kilometer entferntes Haus. Dort wollten sie nachts die Partisan/-innen treffen.
Unterwegs passierte jedoch ein Unglück: Als sie versuchten einen vereisten Fluss zu überqueren, brach das Eis ein und Jack geriet ins eiskalte Wasser. Seine neuen Schuhe wurden ihm nun zum Verhängnis, denn sie waren bald völlig durchtränkt. Als sie endlich an ihrem Ziel ankamen, waren die Partisan/-innen schon weg, und Jack merkte schnell, dass er in der eisigen Kälte nicht lange überleben würde. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ins Arbeitslager zurückzugehen. Dort zeigte sich das ganze Ausmaß des Unglücks: Alle seine Zehen waren erfroren und mussten amputiert werden.
Monatelang war Jack ans Bett gefesselt, aber den Deutschen wollte er dennoch nicht wehrlos ausgeliefert sein. Er plante sogar, zusammen mit seinem Vater, sich im Ernstfall selbst das Leben zu nehmen. Glücklicherweise kam es anders. Die Gefangenen hatten eine kühne Idee. Sie wollten heimlich einen Tunnel aus dem Arbeitslager heraus graben.
Mehrere Monate dauerte es, aber Ende September 1943 war der Tunnel fertig und sie konnten fliehen! Da Jack immer noch nicht schnell laufen konnte, gehörte er zu den letzten, die das Lager durch den Tunnel verlassen durften. Aber er schaffte es und war endlich frei.
Jack verlor innerhalb weniger Wochen seine ganze Familie
Die Flucht durch den Tunnel im September 1943 kam für Jacks Familie zu spät. Vorher verlor Jack innerhalb weniger Wochen erst seine Mutter und seine Schwester und dann auch noch seinen Vater. Er selbst war nach der Amputation seiner Zehen lange Zeit ans Bett gefesselt. Von seiner Pritsche im Arbeitslager aus wurde er Zeuge der Erschießung seiner Mutter und seiner Schwester. Jahrzehnte später berichtete er in einem Interview von diesem Tag.
»Am 7. Mai 1943 liege ich auf der oberen Pritsche. Es ist ein schöner Tag, das Fenster ist offen und ich sehe hinunter was passiert und dort steht meine Mutter nicht weit weg vom Fenster entfernt, und sie stehen in Gruppen von 25 und werden abgezählt. Plötzlich Polizei, ausländische Polizei und die Wachmänner, sie schreien und schlagen die Menschen mit den Gewehrkolben.
Und meine Mutter kam rüber und sagte zu mir ›Hab keine Angst, es ist nichts‹, aber ich bin mir sicher, dass sie das sagte, um mir auf Wiedersehen zu sagen. […] Und nach kurzer Zeit hörte ich Maschinengewehrfeuer.«
USC Shoah Foundation: Interview mit Jack Kagan am 31.12.1995.
Nur zwei Monate später sah Jack seinen Vater zum letzten Mal. Dieser wurde in ein anderes Arbeitslager gebracht und kam Anfang 1944 unter unbekannten Umständen ums Leben.
Doch Jack hatte es geschafft. Er war endlich bei den Partisan/-innen angekommen. Und er war sehr stolz auf »seine« Truppe. Denn die Bielski-Partisan/-innen galten als etwas ganz Besonderes: Sie waren nicht nur am bewaffneten Widerstand gegen die Nationalsozialisten beteiligt, sondern boten auch einen Zufluchtsort für über tausend jüdische Männer, Frauen und Kinder aus der Gegend.
All diese Menschen mussten versorgt werden – und auch diejenigen, die wie Jack nicht aktiv kämpfen oder Nahrung besorgen konnten, trugen ihren Teil dazu bei. Ihr Versteck im Wald glich, wie Jack später berichtete, immer mehr einer Kleinstadt.
»Es gab eine Bäckerei, einen Salamimacher, Schuhmacher, Schneider- und Ingenieurwerkstätten und, später, eine Gerberei. Partisanen aus der gesamten Region kamen zu Bielski, um ihre Waffen, Schuhe und Uniformen in Ordnung bringen zu lassen und Mehl für Brot und Kühe für Salami einzutauschen. Die Bielskigruppe wurde zu einer produktiven Einheit und half dadurch im Kampf der Partisanen gegen die Deutschen.«
Jack Kagan (2012): Freiheit, Krieg und Rache, Berlin, S. 44.
Einen großen Nachteil gab es aber, denn durch die vielen – auch alten – Menschen konnten sie sich bei Gefahr nicht schnell in Sicherheit bringen. Auch für Jack war das mit seinen amputierten Zehen schwierig. Aber es fanden sich immer wieder Lösungen und Helfer/-innen. Als etwa kurz nach Jacks Ankunft das Lager geräumt und ein neues Versteck gefunden werden musste, kümmerte sich sein Cousin Berl um ihn – er hatte sich als Kämpfer ebenfalls den Bielski-Partisan/-innen angeschlossen.
Aus Sorge, dass Jack im Falle einer Entdeckung der Gruppe nicht schnell genug entkommen könnte, schlugen sich die beiden für mehrere Tage zu zweit – etwas abseits von den anderen – durch den Wald. Berl, wie Jack später schrieb, »mit einem Gewehr in der Hand und ich mit Fetzen an den Füßen. Berl kannte den Weg und wir gingen langsam.«
Wer waren die Bielski-Brüder?
Die Gründer der Partisan/-innen-Gruppe waren die drei Brüder Tuvia (1906–1987), Asael (1908–1945) und Zus (1912–1995) Bielski. Sie wuchsen in einem Dorf in der Nähe von Nowogródek auf. Zu ihrer großen Familie gehörten neben den Eltern David und Beila insgesamt elf Geschwister. Einer ihrer jüngeren Brüder, Aron (Archik, *1927), besuchte dieselbe Schule wie Jack; er überlebte später ebenfalls im Wald.
Nachdem ein Großteil ihrer Angehörigen bei der Massenerschießung im Dezember 1941 ermordet worden war, beschlossen die Brüder, sich im nahegelegenen Wald in Sicherheit zu bringen und sich der sowjetischen Partisan/-innenbewegung anzuschließen. Immer mehr Juden und Jüdinnen aus der Umgebung flohen zu ihnen in den Wald, schließlich bestand die Gruppe aus über 1.200 Menschen. Aseal überlebte als einziger der drei Brüder den Krieg nicht: Er kämpfte später in der Roten Armee und wurde dabei getötet.
Die Geschichte der Brüder und ihrer Partisanengruppe wurde 2008 unter dem Titel »Unbeugsam« verfilmt, eine der Hauptrollen übernahm der James Bond-Darsteller Daniel Craig.
Als der Krieg endete, war Jack gerade einmal 16 Jahre alt. Er hatte seit Jahren keine Schule besucht, hatte keine Ausbildung und kaum noch lebende Verwandte, die ihn hätten unterstützen können. Also musste er so gut wie möglich für sich selbst sorgen. Obwohl ihm klar war, dass er dafür viele Jahre ins Gefängnis kommen konnte, betrieb er illegalen Handel. Er verkaufte heimlich verschiedene Waren, die auf dem regulären Markt nicht leicht zu bekommen waren. Seine Geschäfte führten ihn sogar in das hunderte Kilometer entfernte Moskau.
Aber letztendlich wurde Jack in seiner Heimat nicht mehr glücklich – er hatte zu viel verloren und entschied sich, Nowogródek zu verlassen. Im September 1945 trat er eine beschwerliche Reise an, die ihn über die polnische Stadt Łódź schließlich nach Deutschland brachte. Per Anhalter und Zug schlug er sich über Berlin bis nach München durch.
Er hatte unterwegs erfahren, dass es in der Gegend große Auffanglager für Displaced Persons (DP) gab. Dort wollte er hin. Nach wochenlanger Reise kam er schließlich in einem der DP-Lager in Landsberg am Lech an, wo er auf Freund/-innen von früher traf.
Was ist ein DP-Lager?
DP steht für den englischen Ausdruck Displaced Persons. Darunter verstand man nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Personen, die infolge der Kriegswirren und der nationalsozialistischen Verbrechen (vorübergehend) in Deutschland oder anderen europäischen Ländern gestrandet waren. Das betraf etwa Menschen, die aus Konzentrationslagern befreit worden waren oder ehemalige Zwangsarbeiter/-innen.
In Deutschland wurden an verschiedenen Orten Auffanglager zur Unterbringung dieser Menschen errichtet. Das Lager in Landsberg am Lech, in dem Jack eine Zeit lang lebte, war vor allem für jüdische Displaced Persons. Zwischen 1945 und 1950 waren dort etwa 23.000 Menschen für eine längere oder kürzere Zeit untergebracht.
Aber so richtig wohl fühlte er sich auch im DP-Lager nicht. Er zog daher mit anderen ehemaligen Partisan/-innen auf einen Bauernhof in Bayern, wo sie in der Landwirtschaft ausgebildet wurden.
Jacks großer Wunsch war, nach Palästina auszuwandern, zusammen mit seinem Cousin Berl, der sich inzwischen auch nach Deutschland durchgeschlagen hatte. Seine schlechte Gesundheit verhinderte dies allerdings vorerst.
Stattdessen ging Jack 1947 nach Großbritannien, wo eine seiner Cousinen lebte. Er hoffte, von dort aus nach Palästina zu gelangen. Tatsächlich schaffte er es zwei Jahre später, konnte sich jedoch im inzwischen gegründeten Staat Israel kein neues Leben aufbauen. Er kehrte daher nach Großbritannien zurück und fand dort nach vielen Jahren des Umherziehens endlich ein neues Zuhause.
In Großbritannien fand Jack endlich ein neues Zuhause
In Großbritannien dauerte es einige Zeit, bis Jack die neue Sprache gelernt und auch beruflich Fuß gefasst hatte. Aber schließlich schaffte er es: Nachdem er in verschiedenen Schuhfabriken und als Zuschneider in einer Handtaschenfabrik gearbeitet hatte, machte er sich selbständig. 1951 gründete er mit der Princelet Handbags Ltd seine erste eigene Firma. Weitere folgten in den kommenden Jahren, und Jack wurde ein erfolgreicher Unternehmer.
Auch privat fand er sein Glück: 1955 heiratete er Barbara Steinfeld. Sie bekamen zwei Söhne und eine Tochter. Dass für Jack in Großbritannien ein neues Leben begonnen hatte, zeigt sich auch in der Änderung seines Vornamens. Er legte seinen alten Namen Idel ab und nannte sich fortan Jack. Er starb im Dezember 2016 im Alter von 87 Jahren.
Dieser Gedenkstein und vieles mehr entstand auf Jacks Initiative
Nachdem Jack Nowogródek 1945 verlassen hatte, dauerte es 46 Jahre bis er dorthin zurückkehrte. Die Erinnerungen waren zu schmerzhaft, für ihn war es »ein Ort der Tragödie und des Leids.« Als er 1991 schließlich doch seine alte Heimatstadt besuchte, erinnerte dort nichts mehr an die Geschichte der jüdischen Einwohner/-innen und deren Schicksal.
Für Jack wurde es zu einem wichtigen Anliegen, das zu ändern. Er sorgte dafür, dass an den Orten der Verbrechen Gedenksteine zur Erinnerung an die jüdischen Opfer errichtet wurden, und unterstützte den Aufbau eines Museums, das den jüdischen Widerstand dokumentiert: https://www.memorialmuseums.org/denkmaeler/view/473/Holocaustdenkm%C3%A4ler-und-Museum-des-j%C3%BCdischen-Widerstands-Nowogrodek#
Zudem begann er, aktiv über die Geschehnisse zu berichten und zu schreiben. Seit 2012 kann man Jacks Geschichte auch auf Deutsch in dem Buch »Freiheit, Krieg und Rache. Überleben bei den jüdischen Partisanen« nachlesen.
Mittlerweile erinnert in Nowogródek das Museum des jüdischen Widerstandes an das Schicksal der Juden und Jüdinnen und den Kampf der Bielski-Partisan/-innen. Im Ort der Information des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin und im Imperial War Museum in London wird zudem in den Ausstellungen an das Schicksal seiner Familie erinnert: https://www.memorialmuseums.org/denkmaeler/view/473/Holocaustdenkm%C3%A4ler-und-Museum-des-j%C3%BCdischen-Widerstands-Nowogrodek