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27. April 1925Geburt
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1943Widerstand
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6. Juni 1944Gefängnis
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5. Oktober 1944Konzentrationslager
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20. April 1945Rettung
Karl wurde am 27. April 1925 als mittleres von drei Kindern in der dänischen Kleinstadt Nibe geboren. Seine Eltern hießen Nicolay Peter Krebs Møller und Meta Pederson Salling. Der Vater besaß einen Friseursalon. Obwohl Karl bei der Berufswahl völlig freie Hand hatte, entschied er sich, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und wurde auch Friseur.
Nach der Schule, die er nach sieben Jahren beendete, begann er daher eine Ausbildung im Betrieb seines Vaters. Hier erlebte er auch im April 1940 den Einmarsch der Deutschen, die Dänemark besetzten.
Jahrzehnte später erinnert er sich in einem Interview an dieses einschneidende Erlebnis.
»Am Morgen des 9. April 1940 wurden wir durch einen fürchterlichen Lärm geweckt und wir sahen Hunderte von diesen deutschen Junkerflugzeugen. Sie flogen so niedrig, dass man den Piloten im Cockpit sehen konnte. Meine Mutter hat dann den Kachelofen in der Friseurstube angemacht, aber es kamen nicht viele Kunden – alle waren sehr bedrückt.«
Karl und seiner Familie war klar, dass sich von nun an vieles in ihrem Alltag ändern würde. Glücklicherweise war Karl aber noch zu jung und sein Vater zu alt, um zur Armee eingezogen zu werden.
Auf einmal marschierten deutsche Soldaten in den Straßen Dänemarks
Ende Mai 1939 hatten Dänemark und das Deutsche Reich einen Nichtangriffspakt unterzeichnet. Doch nicht einmal ein Jahr später brach die deutsche Seite diesen Vertrag und stellte den für den Krieg gegen England strategisch wichtigen Nachbarländern Dänemark und Norwegen ein Ultimatum: Wenn sie sich sofort ergaben und der Wehrmacht die Nutzung ihrer Transportwege erlaubten, würden sie formal ihre politische Unabhängigkeit behalten. Ansonsten würden die Länder bombardiert.
Dänemark ergab sich schon nach wenigen Stunden, und die Wehrmacht besetzte das Land am 9. April 1940. Norwegen kapitulierte nach Kampfhandlungen am 10. Juni 1940.
»[…] erst am Abend kamen deutsche Soldaten. Es änderte sich nicht viel, dennoch war es, als hätte sich ein fremdes Element über den Alltag gelegt.«
Je länger die deutsche Besatzung andauerte, desto mehr Zulauf bekam der dänische Widerstand
Um die angedrohte Bombardierung Kopenhagens zu verhindern, kapitulierten der König und die dänische Regierung am 9. April 1940 schon wenige Stunden nach dem Einmarsch der deutschen Truppen. Formell blieb Dänemark wegen seiner Kooperationsbereitschaft ein eigenständiger Staat.
Teile der Bevölkerung protestierten gegen diese Besetzung durch das Tragen dänischer Flaggen und Parolen im Knopfloch, z.B. »SDU« für »Smid dem ud« (Schmeißt sie raus).
Viele Aktionen wurden von der 1941 verbotenen Kommunistischen Partei organisiert. Eine kommunistische Partisanengruppe mit dem ironisch gemeinten Namen Borgerlige Partisaner (Bürgerliche Partisanen) brachte zum Beispiel 1942 am 25. Jahrestag der Oktoberrevolution einen deutschen Militärtransportzug zum Entgleisen. Auch Sabotageakte gegen deutsche Rüstungsfabriken wurden durchgeführt.
Im Jahr 1943 weitete sich der Widerstand auf bürgerliche Kreise aus und wuchs stetig an. Zur Abschreckung wurde am 8. September die Erschießung eines Widerstandskämpfers öffentlich bekannt gemacht. Daraufhin schlossen sich am 16. September verschiedene dänische Widerstandsorganisationen zum Frihedsradet (Freiheitsrat) zusammen. Außerdem formierte sich ein Informationsnetzwerk, das im In- und Ausland über die Vorgänge in Dänemark berichtete, sowie der Danske Samling (Dänischer Zusammenschluss).
Die Abteilung Special Operations Executive (SOE) des britischen Geheimdienstes organisierte Waffen für den aktiven Widerstand in Dänemark. Hier engagierte sich auch Karl. Mit Hilfe von Sprengstofflieferungen der SOE wurden Waffenfabriken überfallen und gesprengt.
Karl war, wie viele seiner Freund/-innen, Mitglied in einer christlichen Jugendorganisation. Unter den Jugendlichen und auch auf der Handelsschule in der nahegelegenen Großstadt Ålborg, die er nach der Lehre besuchte, war die deutsche Besatzung und die Unfreiheit der Dän/-innen ein wiederkehrendes Thema.
Über einen Lehrer und zwei Kameraden seiner Jugendgruppe bekam Karl im Jahr 1943 schließlich Kontakt zur dänischen Widerstandsbewegung. Und trotz der Warnung, dass er bei einer Verhaftung mit der Todesstrafe rechnen müsse, führte er sogar Schießübungen mit der Gruppe durch. Im Jahr darauf bekam er den Auftrag, Waffen, die aus England nach Dänemark geschmuggelt wurden, zu verteilen.
»Ich war kein Held, eher so ein Antiheld, und ein-, zweimal ging es auch gut. Doch dann wurden wir von einem Bauunternehmer verraten, der den deutschen Flughafen West mitgebaut hatte. Wir konnten noch nach Hause fliehen. Unsere Eltern wussten nichts von unserer Widerstandstätigkeit – vielleicht ahnten sie etwas.«
Kurz darauf wurde Karl im Friseursalon seines Vaters von der Gestapo verhaftet und zusammen mit seinen Kameraden aus der Jugendorganisation im Juni 1944 ins Gefängnis nach Ålborg gebracht. Dort wurden die Freunde nach kurzer Zeit getrennt: Während man die anderen in das Lager Horserød ganz im Osten Dänemarks brachte, kam Karl in das Gefängnis der Hauptstadt Kopenhagen, ins Vestre Fængsel.
Dort lernte der 19-Jährige zwei Jungen kennen, die ebenfalls im Widerstand aktiv gewesen und wegen eines ganz ähnlichen Vergehens verhaftet worden waren. Ihnen war bereits der Prozess gemacht worden: Das Urteil lautete Todesstrafe und sollte am 26. Juni vollstreckt werden. Wegen des Generalstreiks in Kopenhagen kam es nicht dazu. Wie die Geschichte der beiden Mithäftlinge weiterging, erfuhr Karl nicht mehr, weil er erneut verlegt wurde.
Zwei Monate nach seiner Verhaftung wegen Waffenschmuggels wurde Karl, ohne dass er vor Gericht gestellt worden wäre, in ein Polizeigefangenenlager an der deutsch-dänischen Grenze gebracht. Auf dem Transport dorthin traf er seine Freunde aus der Jugendorganisation wieder, die mit ihm geschnappt worden waren. Zusammen wurden sie auf dem deutschen Urlaubsschiff Mars zunächst nach Flensburg gefahren. Von dort mussten sie die etwa zwölf Kilometer zu Fuß zurück über die Grenze nach Dänemark gehen, bis sie ihr Ziel, das Lager Frøslev, erreicht hatten. Es klingt unglaublich, aber Karl lebte hier dank seiner Friseurausbildung sehr angenehm.
»Das Einzige, was uns fehlte, war die Freiheit. Wir wurden von der dänischen Gefängnisleitung versorgt. Es gab dort so gutes Essen, wie es die dänische Bevölkerung wohl nicht hatte. Mir ging es sehr gut, denn ich hatte einen Ausweis als Haarschneider und konnte mich im Lager frei bewegen. Wer seine Haare geschnitten haben wollte, hat mich mit Tabak bezahlt. Ich habe dort geraucht wie ein Schlot!«
Allerdings sollte dieser Zustand nicht lange anhalten: Am 5. Oktober 1944, keine zwei Monate nach seiner Ankunft in Frøslev, erfuhr Karl, dass er zusammen mit sechzig anderen Häftlingen ins Deutsche Reich deportiert werden sollte. Mit ihnen wurden auch 141 dänische Grenzpolizisten verschleppt, die kurz zuvor von der Gestapo verhaftet worden waren. Die dänische Regierung hatte Ende August 1944 ihre Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden eingestellt, deshalb wurden nun auch Staatsangestellte, die nicht kooperierten, verfolgt.
Was für ein Lager war Frøslev?
Das Polizeigefangenenlager Frøslev nahe der deutsch-dänischen Grenze war erst im August 1944 in Betrieb genommen worden. Die dänische Regierung wollte mit dem Betrieb des Lagers verhindern, dass dänische Bürger/-innen in deutsche Konzentrationslager verschleppt würden. Dies sicherten die deutschen Behörden Dänemark auch zu, hielten sich später aber nicht an die Abmachung: Von den 12.000 Gefangenen, die das Lager durchliefen, sind 1.625 in das Deutsche Reich deportiert worden – darunter Karl. 220 von ihnen wurden dort ermordet.
Die Häftlinge in Frøslev waren Gefangene der Gestapo und SS. Das Lager stand aber zunächst unter dänischer Verwaltung, weshalb die Versorgung sehr viel besser war als in den deutschen Lagern. Es herrschte allerdings bald Überbelegung: Eigentlich hatte das Lager Platz für 1.500 Gefangene, tatsächlich waren im April 1945 dort aber etwa 5.500 Menschen inhaftiert. Alle Häftlinge mussten Zwangsarbeit leisten.
Nach einer eintägigen Reise in Viehwaggons erreichten Karl und die anderen dänischen Gefangenen am 6. Oktober 1944 das Konzentrationslager Neuengamme.
Die dänischen Häftlinge wurden etwas besser behandelt als andere. Sie wurden nicht völlig kahl geschoren und Karl durfte seine Zigaretten behalten. Seinen Koffer und seine persönlichen Gegenstände musste er abgeben.
»Bei der Einfahrt in das Konzentrationslager sahen wir in Viehwaggons französische Frauen auf einem Nebengleis, wir waren ganz verwundert, sie mussten dort schon sehr lange gestanden haben. [...] Nachdem der Zug hielt und die Türen göffnet wurden, standen SS-Männer mit kläffenden Hunden am Ankunftsort und Thumann [SS-Schutzhaftlagerführer] war da, der eine Rede hielt. Jetzt erkannten wir, hier ist nicht mehr Frøslev, jetzt sind wir in die Hölle gekommen!«
Karl erhielt die Häftlingsnummer 54573 und musste Zwangsarbeit leisten. Diese bestand zunächst darin, die Trümmer zerstörter Häuser in Hamburg zu zerkleinern. Trotz der schweren Arbeit bekamen die Häftlinge nur wenig zu essen, in der Regel eine dünne Suppe und eine Scheibe Brot. Karl gewöhnte sich an, dieses Stück Brot nicht sofort zu essen, sondern in seiner Jackentasche aufzubewahren – ein Trick, mit dem es ihm etwas besser ging – bis ihm diese wertvolle Scheibe einmal gestohlen wurde.
Zeichnungen des ebenfalls im KZ Neuengamme inhaftierten dänischen Häftlings Hans Peter Sørensen
Die Luftangriffe der Alliierten: Fluch und Segen zugleich
In seiner Zeit in Neuengamme erlebte Karl auch mehrfach Luftangriffe der Alliierten auf die Stadt Hamburg. Karl hasste diese Situationen, obwohl er froh war, dass die Armeen, die gegen das Deutsche Reich kämpften, immer näher kamen. Die Häftlinge wurden dann nämlich in die viel zu engen Kellergewölbe unter dem Ziegelwerk gesperrt – und wer zu langsam lief, wurde geschlagen.
Einmal, als Karl zum Panzergräben ausheben eingesetzt worden war, sah er, wie ein US-amerikanisches Flugzeug abgeschossen wurde. Der Pilot landete mit einem Rettungsschirm nicht weit von seiner Arbeitskolonne. Karl musste mit ansehen, wie SS-Männer diesen Mann misshandelten.
Nach einiger Zeit kam Karl in das Außenlager Meppen-Versen. Dort wurde er schwer krank, er bekam eine Rippenfellentzündung und Tuberkulose. Sein großes Glück war, dass das dänische Rote Kreuz seine Landsleute nicht vergessen hatte: Er erhielt Nahrungsmittelpakete und Kleidung. Weiterhin wurde im Frühjahr 1945 eine Rettungsaktion für alle skandinavischen Häftlinge organisiert: Mit einem der sogenannten Weißen Busse wurde Karl am 15. März 1945 zunächst zurück in das KZ-Neuengamme gebracht. Als er dort ankam, war er so schwach, dass seine Mithäftlinge ihn stützen mussten.
In diesen Bussen wurden tausende Menschen gerettet
Diese Weißen Busse bedeuteten für Tausende skandinavische KZ-Häftlinge die Rettung kurz vor Kriegsende. Organisator der Rettungsaktion war Graf Folke Bernadotte, der Vizevorsitzende des Schwedischen Roten Kreuzes. Er führte geheime Verhandlungen mit Heinrich Himmler, dem Reichsführer der SS sowie Chef der deutschen Polizei und Reichsinnenminister.
Himmler wollte ein Friedensabkommen mit den Westmächten (USA, England und Frankreich) erreichen und versuchte über Mittelspersonen wie Bernadotte Kontakt zu den Alliierten zu bekommen. Zunächst wurde vereinbart, dass alle skandinavischen KZ-Häftlinge im Lager Neuengamme versammelt werden durften, wo sie vom schwedischen Roten Kreuz betreut wurden. Kranke und Frauen wurden mit den Weißen Bussen bereits ab März 1945 nach Schweden transportiert.
Im Zuge der Räumung des Konzentrationslagers Neuengamme sollten schließlich alle im »Skandinavierlager« versammelten Personen ausreisen. Am 20. April 1945 verließen über 4.000 Personen in den weiß gestrichenen, mit einem roten Kreuz versehenen Busse das Lager Richtung Skandinavien. Bei weiteren Verhandlungen erhielt Bernadotte von Himmler die Erlaubnis, auch KZ-Gefangene anderer Nationalitäten zu evakuieren. Insgesamt wurden rund 15.000 Personen in Sicherheit gebracht.
Am 15. März 1945 wurde der schwerkranke Karl mit anderen skandinavischen Häftlingen aus dem Außenlager Meppen-Versen mit einem weiß gestrichenen Bus des schwedischen Roten Kreuzes zurück in das KZ Neuengamme gebracht.
Aufgrund der Kriegssituation durften diese Häftlinge einen Monat später dann nach Schweden abtransportiert werden. Auch Karl war unter den Geretteten, er erhielt beim Verlassen des Konzentrationslagers sogar seinen Koffer zurück.
Von der schwedischen Stadt Löderup aus kehrte Karl am 18. Mai in seine Heimatstadt Nibe zurück. Bei seiner Rückkehr war er zwanzig Jahre alt.
Er wurde direkt nach seiner Ankunft von seinem Hausarzt untersucht und anschließend in eine Lungenklinik geschickt. Die Ärzte stellten fest, dass er immer noch an einer Rippenfellentzündung und an Tuberkulose erkrankt war. Doch Karl wollte sich nicht in ein Sanatorium einweisen lassen. Er wollte nach diesem schrecklichen Jahr bei seinen Eltern bleiben.
Er versprach daher, sich ein halbes Jahr lang zu Hause einer Kur zu unterziehen: Er musste bis mittags im Bett bleiben und sich am Nachmittag viel an der frischen Luft bewegen. Außerdem sollte er abends früh ins Bett gehen und viel essen. Tatsächlich führte diese Kur zu seiner Genesung. Nach seiner Heilung besuchte er eine weiterführende Schule und machte anschließend eine Umschulung zum Maler.
Am 21. November 1954 heiratete er seine Frau Kirsten und übernahm schließlich als Meister einen Malerbetrieb.
Karl kehrte später nach Neuengamme zurück
Später engagierte sich Karl im dänischen Häftlingsverband Landsforeningen af KZ-fanger fra Neuengamme und besuchte mehrfach die Gedenkstätte Neuengamme. Dort gab er im Jahr 2000 auch ein ausführliches lebensgeschichtliches Interview. Zuletzt kam er 2005 nach Hamburg.