Vitka Kempner

* Geboren 14. März 1920 (Kalisz) - Gestorben 15. März 2012
Vitka Kempner wird in Kalisz geboren. Nach Beginn der deutschen Besatzung in Polen flieht sie im Oktober 1939 in das litauische Wilna. Dort schließt sie sich der jüdischen Partisanenorganisation Fareinikte Partisaner Organisatzije (FPO) an. Im Sommer 1942 sprengt sie einen deutschen Truppenzug in die Luft. Ein Jahr später schließt sich die FPO einem sowjetischen Partisanenverband in den Wäldern an, weil die Mehrheit der Bewohner/-innen des Wilnaer Ghettos einen gewaltsamen Aufstand gegen die Besatzer ablehnt. Vitka kämpft aus dem Wald heraus weiter gegen die Deutschen. Als die Rote Armee im Juli 1944 Wilna erobert, ziehen auch Vitka und die anderen Partisan/-innen in die Stadt ein.
  • 14. März 1920
    Geburt
  • Oktober 1939
    Flucht
  • 6. September 1941
    Widerstand
  • Januar 1942
    Sabotage
  • September 1943
    Kampf im Wald
Neutrales Hintergrundbild Neutrales Hintergrundbild
Vitka Kempner
Biografietrailer
Skizze eines fliehenden Menschen, Symbolbild 1 von Christin Franke
Kapitel 1
Vitka sagte zu ihren Eltern: »Ich bleibe nicht, ich werde mit meinen Freund/-innen fliehen!«

Die 19-jährige Vitka war gerade bei ihren Eltern in der polnischen Stadt Kalisz, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Sie studierte in Warschau und war in ihren Ferien nach Hause zurückgekehrt. Das war im September 1939. Die deutsche Wehrmacht hatte Polen überfallen und marschierte kurze Zeit später auch in Vitkas Geburtsstadt ein.

Fotografie der Stadt Kalisz
Die polnische Stadt Kalisz um 1930
Bei ihren Eltern in der Kleinstadt Kalisz hielt es Vitka nicht lange

Sofort begann die gezielte Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung: Kalisz gehörte fortan zum Deutschen Reich und sollte »judenrein« gemacht werden. Das heißt, die Verwaltung deportierte alle Juden und Jüdinnen des Ortes in andere Städte oder Ghettos im neu entstandenen Generalgouvernement.

Vitka wollte die Erniedrigung und Gewalt durch die nationalsozialistischen Machthaber jedoch nicht hinnehmen. Sie beschloss, ihre Familie in Kalisz zu verlassen. Zusammen mit ihren Freund/-innen von Hashomer Hatzair, einer jüdischen Jugendorganisation, wollte sie nach Wilna fliehen. Die Stadt gehörte nach der Zerschlagung Polens zu Litauen.

Vitkas Eltern waren nicht begeistert von dieser Idee. Sie hatten Angst davor, sich in Kriegszeiten von ihr zu trennen. Dennoch gaben sie schließlich ihr Einverständnis.

So lebte Vitka vor Beginn des Zweiten Weltkriegs

Vitka Kempner in den 1930er Jahren
Eine Aufnahme Vitka Kempners aus den 1930er Jahren

Vitka wurde am 14. März 1920 geboren. Zusammen mit ihren Eltern, die eine Schneiderei betrieben, und ihrem jüngeren Bruder Baruch wuchs sie in Kalisz auf, unweit der deutsch-polnischen Grenze.

In ihrer Heimatstadt war ein Drittel der Stadtbevölkerung jüdisch. Die Stadt verfügte über zwei jüdische Zeitungen, mehrere jüdische Schulen und zwei Synagogen. Auch Vitka und ihre Familie gehörten der jüdischen Minderheit an, lebten aber nicht streng religiös. Bei Familie Kempner wurde Polnisch – und nicht Jiddisch – gesprochen.

Darüber hinaus besuchte Vitka eine fortschrittliche jüdische Schule, die eine moderne Auffassung des Glaubens vertrat. Nach ihrer Schulzeit zog sie nach Warschau und studierte dort an einem jüdischen Seminar.

Wie hat Vitka ihre Flucht nach Wilna erlebt?

Notausgang
Foto eines modernen Notausgangschildes

»Ich wurde in Kalisch geboren. Das ist eine kleinere Stadt, in der Nähe der polnisch-deutschen Grenze. Im Jahr (19)39, weil es so nah an der Grenze war, der Krieg begann im September, am 1. September, und am 3. September war die deutsche Armee in Kalisch. Und sofort begannen die Vertreibungen. Und als ich sah, dass die Deutschen Juden in einem Kloster, leer, einfingen, und ich zusah, die Schreie hörte, wie sie sich verhielten, die Prügel, sie schlugen die Juden, ich sagte meinen Eltern, ich bleibe nicht, ich werde mit meinen Freunden fliehen.

Zuerst stritten sie mit mir, sie stimmten nicht mit mir überein und sagten, du bist so verwöhnt, wie wirst du alleine klar kommen, wie willst du das schaffen, und sie waren sehr dagegen. Dann, in ’39, stellte sich niemand vor, dass dies unser letztes Treffen sein würde. Als ich meine Eltern verließ, dachte ich nicht für eine Minute, dass ich sie nie wieder sehen würde. Nichts hatte bis dahin begonnen, das war im Oktober ’39. Deswegen, als ich von meinen Eltern floh, glaubten sie nicht und ich glaubte nicht, dass wir uns nicht wieder sehen würden.

Sie waren hauptsächlich im materiellen Sinn um mich besorgt, was würde ich tun, wie würde ich zurecht kommen, wie würde ich reisen. Sie ängstigten sich vor dem, was mit mir geschehen würde. Und ich floh, und mein Bruder floh auch. Wir erreichten Lodz, dort war mein Großvater, und er wollte meinen Bruder nicht gehen lassen. ›Kinder wie er laufen nicht von ihren Eltern weg.‹ Und er brachte ihn zurück. Also riss auch er (mein Bruder) aus. Aber er (mein Großvater) konnte mir nicht sagen, was ich tun sollte. Ich war 19 Jahre alt.«

Ausschnitt aus dem Videointerview der Jewish Partisan Educational Foundation mit Vitka Kempner Kovner

Hier kannst Du Dir weitere Auszüge aus dem Videointerview mit Vitka Kempner Kovner anhören: https://www.jewishpartisans.org/partisans/vitka-kempner

Vitka und ihre Freund/-innen hatten einen Traum

Hashomer Hatzair-Jugendgruppe mit Wappenfahne
Eine Hashomer Hatzair-Jugendgruppe mit Wappenfahne

Vitka war schon vor ihrem zwölften Geburtstag einer der vielen örtlichen jüdischen Jugendorganisationen beigetreten. Nachdem sie unterschiedliche Gruppen kennengelernt hatte, entschied sie sich letztlich für die sozialistische Organisation Hashomer Hatzair. Wie in der Pfadfinderbewegung trieben die Kinder und Jugendlichen dort gemeinsam Sport oder unternahmen Ausflüge in die Umgebung.

Der Traum vom Auswandern

Besondere Bedeutung hatte für die Mitglieder von Hashomer Hatzair die Vorbereitung auf ein Leben in Palästina. Vitka und ihre Freund/-innen waren fasziniert vom Zionismus, also von der Idee, einen jüdischen Staat in Palästina zu schaffen. Sie wollten später selbst dorthin auswandern. Dafür mussten sie die hebräische Sprache beherrschen und eine Ausbildung nachweisen können.

Symbolbild 2, Vitka färbte sich die Haare
Kapitel 2
Vitka färbte sich die Haare, um möglichst »deutsch« auszusehen.
Postkarte mit einer Straße Wilnas
Im September 1941 wurden in Wilna zwei Ghettos inmitten der Stadt eingerichtet. Das Bild zeigt eine Postkarte mit einer Straße Wilnas.
Vitka weigerte sich, in das Ghetto zu ziehen

In der litauischen Stadt Wilna knüpfte Vitka über ihre Mitgliedschaft bei Hashomer Hatzair schnell neue Kontakte: Auch viele andere jüdische, politisch aktive Jugendliche aus ganz Polen waren nach Wilna geflohen. Doch warum gerade dorthin? Die Stadt hatte fast zwanzig Jahre zu Polen gehört, stand aber nun unter litauischer Verwaltung. Das unmittelbare Kriegsgeschehen hatte Wilna deshalb noch nicht erreicht. Nach wie vor lebten hier fast ausschließlich christliche und jüdische Pol/-innen. Und Vitka sprach sowohl Polnisch als auch Jiddisch.

Doch im Juni 1941 kam der Krieg auch dort hin: Die deutsche Wehrmacht griff die Sowjetunion an und marschierte in Litauen ein. Nur wenige Monate später errichteten die Besatzer ein Ghetto, in das die jüdische Bevölkerung Wilnas ziehen mussten. Vitka jedoch weigerte sich: Sie beschloss, gemeinsam mit ihren Freund/-innen im Untergrund aktiv zu werden. Doch wie sollten sie Widerstand gegen die übermächtigen Deutschen leisten? Zunächst einmal zog Vitka nicht in das Ghetto, sondern blieb in dem anderen Teil der Stadt wohnen. So wollte sie ihre Freund/-innen, die bereits im Ghetto lebten, mit wichtigen Informationen über den Kriegsverlauf oder neue Maßnahmen der Besatzungsmacht versorgen.

Vitka erzählt:

»Man musste nicht nur den richtigen polnischen Akzent beherrschen, sondern sich auch wie eine richtige Polin verhalten können. Ich konnte das, denn ich komme aus einer assimilierten Familie, ich hatte mich früher als polnisches Mädchen gefühlt und mich auch so benommen und so gesprochen.«

Quelle: Ingrid Strobl (1998): Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand 1939–1945, Frankfurt/Main, S. 261.

Dieser Plan war jedoch äußerst gefährlich: Vitka durfte unter keinen Umständen als Jüdin erkannt werden, sonst drohte ihr der Tod. Kurzerhand besorgte sich Vitka eine Flasche Blondierungsmittel: Als blonde Frau würde sie von den deutschen Soldaten, die der Ansicht waren, jüdische Menschen hätten alle dunkle Haare, wohl kaum für jüdisch gehalten werden. Sie nahm eine Arbeit an und wohnte zur Untermiete bei einer strenggläubigen Katholikin.

Wie selbstverständlich benutzte sie den Bürgersteig – was Juden und Jüdinnen verboten war – und trug auf ihrer Kleidung kein Kennzeichen, das sie als jüdisch ausgewiesen hätte. Gerade ein selbstbewusstes Auftreten war für das Überleben äußerst wichtig.

Das erzählt Vitkas Freundin Chaika Grossmann über sie

Fotografie Chaika Grossman
Dieses Foto von Chaika Grossmann wurde vermutlich 1945 in Polen aufgenommen.
Chaika Grossmann, eine andere junge Frau, die sich in Wilna als Christin ausgab, erinnert sich an folgende Episode:

»Vitkas Chefin, Frau Pardu, nahm die ›Arierinnen aus Warschau‹ als die Vitka unsere Genossinnen vorstellte, problemlos hin. Nach den ersten Gesprächen mit ihnen sagte sie zu Vitka: ›Es ist schon interessant, in all den Jahren, die ich polnische Jugendliche erzogen und unterrichtet habe, bin ich nie auf junge Leute getroffen, die so intelligent und tapfer waren. Vor allem bin ich nie auf solche Mädchen gestoßen.‹

Sie pflegte abends viel mit Vitka zu reden. Sie sprachen über Literatur und Kunst und das schöne, besetzte Polen. ›Weißt du, deine Freundin ist sehr klug und intelligent‹, sagte sie einmal zu mir in der Küche des Restaurants. Sie sagte jeder von uns etwas Ähnliches über die jeweils andere, und wir fingen an, uns darüber Gedanken zu machen. Uns war klar, dass sie etwas vermutete, aber wir wussten nicht, was.

Vitka war beeindruckt von ihrem Charakter, ihrer Geduld und ihrer Sensibilität. In einem dieser Gespräche konnte sie sich nicht mehr beherrschen und erzählte Frau Pardu, dass wir Jüdinnen waren. Wir warfen ihr wütend vor, dass sie unvorsichtig gehandelt hatte, aber Vitka verteidigte sich: ›Ich konnte sie nicht länger zum Narren halten.‹ Und es erwies sich, dass sie das Richtige getan hatte. Seither wurde Frau Pardu nicht müde, uns zu helfen. Sie suchte nach jeder Möglichkeit, uns mit ihren geringen Mitteln zu unterstützen. ›Ihr seid in meinen Augen eher noch gewachsen‹, sagte sie zu Vitka.«

Quelle: Chaika Grosman (1993): Die Untergrundarmee, Frankfurt am Main, S.77.

Vitka riskierte Kopf und Kragen, um ihre Freund/-innen zu sehen

Uniformierte Männer vor dem Wilnaer Ghettotor
Uniformierte Männer stehen vor dem Wilnaer Ghettotor während einer »Aktion«.

Am Ghettotor wurden die heimkehrenden Menschen scharf kontrolliert: Der Schmuggel von Lebensmitteln oder anderen Waren war strengstens verboten, und wer dabei ertappt wurde, musste mit harten Strafen, sogar mit dem Tod, rechnen.

Gefälschte Papiere

Vitka nahm also ein hohes Risiko auf sich, wenn sie ihre Freund/-innen im Ghetto besuchte. Sie musste sich genau vorbereiten, um das Ghettotor unauffällig passieren zu können: Statt sich wie gewohnt als nichtjüdische Polin auszugeben, gab sie vor, eine Ghettobewohnerin zu sein. Sie besorgte sich gefälschte Arbeitspapiere und befestigte einen gelben Stern an ihrer Kleidung, den Juden und Jüdinnen zur Kennzeichnung tragen mussten.

An zwei bis drei Abenden in der Woche betrat sie mit diesem Trick das Ghetto. Auf diese Weise konnte sie ihre Freund/-innen wiedertreffen, sie über die Vorgänge in der Stadt informieren und musste ihre wahre Identität – wenigstens für einige Stunden – nicht verstecken.

Nicht nur Vitka besorgte sich gefälschte Ausweispapiere

Ausweis Chaika Grossmann
Die gefälschten Ausweispapiere von Vitkas Freundin Chaika Grossmann aus dem Jahr 1942 sind bis heute erhalten geblieben.

Vitka war nicht allein: Noch andere junge jüdische Frauen lebten außerhalb des Ghettos, um einen Widerstand in der besetzten Stadt aufzubauen. Das hatte rein praktische Gründe:

Ihre Anwesenheit auf der Straße fiel zu Kriegszeiten weniger auf, da die meisten jungen Männer als Soldaten im Krieg kämpften. Frauen wurden daher auf der Straße seltener kontrolliert. Dennoch ließen sich die Frauen für den Fall einer Überprüfung gefälschte Ausweispapiere anfertigen, die sie als nichtjüdische Polinnen auswiesen.

Wilnas Bewohner/-innen mussten sich an viele unterschiedliche Sprachen gewöhnen

Karte von Polen in der Zwischenkriegszeit 1921–1939
Karte von Polen in der Zwischenkriegszeit 1921–1939

Die Stadt Wilna war im Mittelalter die Hauptstadt Litauens gewesen, aber bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein vor allem polnisch und jüdisch geprägt. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten Wilna und die Umgebung dann zu Polen gehört. Im Westen grenzte Polen ab 1933 an das nationalsozialistische Deutsche Reich unter Adolf Hitler, im Osten an die von Josef Stalin geführte Sowjetunion. Beiden Staatschefs war dieser Nachbarstaat ein Dorn im Auge.

Hitler und Stalin schlossen einen Pakt

Daher unterzeichneten sie am 23. August 1939 einen Nichtangriffspakt. Die Sowjetunion sollte bei einem deutschen Angriff auf Polen nicht einschreiten. Im Gegenzug aber ehemals sowjetische Gebiete, die nach dem Ersten Weltkrieg abgegeben werden mussten, zurückerobern können. Darunter fiel auch die Stadt Wilna.

Hitler und Stalin teilten Polen also unter sich auf. Und zunächst kam es, wie vereinbart: Am 1. September 1939 marschierte die deutsche Wehrmacht in Westpolen ein, ab dem 17. September eroberte die Rote Armee den Osten des Landes – auch Wilna. Nur einen Monat später übergab die sowjetische Regierung die Stadt formell an Litauen. Aber der Preis war hoch; Litauen verlor bald darauf seine Unabhängigkeit. Denn wie im Abkommen zwischen Hitler und Stalin festgelegt, besetzte die Sowjetunion im Sommer 1940 Litauen und andere Gebiete.

Aber Hitler hielt nicht Wort

Ein Jahr später, am 22. Juni 1941, brach das Deutsche Reich den Vertrag und überfiel die Sowjetunion. Daher wurde Wilna ebenfalls von den deutschen Truppen besetzt.

Symbolbild 3, Waffe
Kapitel 3
Vitka und die anderen Jugendlichen wollten den Mord an ihren Freund/-innen und Familien nicht kampflos hinnehmen.

»Lasst uns nicht wie Schafe zur Schlachtbank gehen!«, rief Vitkas Freund Abba Kovner. Es war der Silvesterabend 1941 und eine Gruppe von Menschen hatte sich heimlich im Wilnaer Ghetto versammelt. Auch Vitka hatte sich in das Ghetto geschlichen, um dabei zu sein. »Lasst uns nicht wie Schafe zur Schlachtbank gehen!« – Diese Worte hallten nach und sollten zum Schlachtruf des jüdischen Widerstands im Osten Europas werden.

Foto von Abba Kovner aus dem Jahr 1944
Das ist Vitkas Freund und späterer Ehemann Abba. Die Fotografie stammt aus dem Jahr 1944.

Drei Wochen später, am 21. Januar 1942, wurde die Fareinikte Partisaner Organisatzije (FPO) gegründet. Vitka gehörte ihr genauso an wie ihr Freund Abba. Erklärtes Ziel war der bewaffnete Widerstand im Ghetto.

Doch wie sollte ein erfolgreicher Widerstand organisiert werden? Die Ghettobewohner/-innen verfügten weder über Waffen noch über eine militärische Ausbildung. Hunger und Kälte hatten sie geschwächt. Schon der Schmuggel von Brot, geschweige denn von Waffen, war lebensgefährlich. Es blieben nur zwei Möglichkeiten, Waffen zu beschaffen: Entweder die jüdischen Zwangsarbeiter/-innen stahlen sie aus den deutschen Waffendepots und Reparaturwerkstätten, in denen sie arbeiten mussten, oder sie kauften sie für viel Geld von Pol/-innen und Litauer/-innen.

Trotz aller Schwierigkeiten war Vitka und den FPO-Mitgliedern klar: Sie mussten etwas tun. Allein im Herbst 1941 waren Tausende von Menschen deportiert und ermordet worden.

Lies hier die gesamte Rede Abba Kovners:

»Lasst uns nicht wie Schafe zur Schlachtbank gehen! Jüdische Jugend, glaubt nicht denen, die Euch zu täuschen versuchen. Von den 80.000 Juden im ›Jerusalem von Litauen‹ blieben nur 20.000. Vor unseren Augen haben sie uns unsere Eltern, unsere Brüder und Schwestern entrissen.

Wo sind die Hunderte von Menschen, die von den litauischen Häschern entführt worden sind? Wo sind die nackten Frauen und Kinder, die in jener Schreckensnacht entführt worden sind? Wo sind die Juden vom Jom-Kippur-Tag? Wo sind unsere Brüder aus dem zweiten Ghetto?

Von denen, die vor das Ghettotor geführt wurden, kehrte kein einziger zurück. Alle Wege der Gestapo führen nach Ponar. Ihr Zweifler, lasst Euch nicht länger täuschen. Eure Kinder, Ehemänner und Ehefrauen leben nicht mehr. Ponar ist kein Arbeitslager. Dort werden alle erschossen. Hitler hat vor, alle Juden Europas zu vernichten. Es ist das Schicksal der Juden Litauens, als erste an der Reihe zu sein.

Lasst Euch nicht wie Schafe zur Schlachtbank führen! Lieber als freie Kämpfer fallen, als von der Gnade der Mörder leben. Widerstand bis zum letzten Atemzug!«

Was konnte die Widerstandsgruppe ausrichten?

Der Aufruf der FPO vom 1. Juli 1943
Aufruf der FPO vom 1. Juli 1943. Er ist auf Jiddisch geschrieben und ruft zum bewaffneten Widerstand gegen die deutschen Besatzer auf.

Für die FPO sollte der bewaffnete Widerstand zwar Vorrang haben, doch um dieses Ziel überhaupt erreichen zu können, mussten die verschiedensten Aktionen durchgeführt werden:

Die FPO-Mitglieder hörten heimlich Radio, um den Frontverlauf genau verfolgen zu können. Mit Hilfe einer illegalen Druckerpresse wurden Flugblätter gedruckt und alle Ghettobewohner/-innen zum Widerstand aufgerufen. Um Kontaktpersonen wie Vitka in der Stadt unterbringen zu können, wurden Ausweispapiere gefälscht. Es wurden Kurier/-innen in andere Ghettos in Polen, zum Beispiel nach Białystok oder nach Warschau gesandt, um dort von den Geschehnissen in Wilna zu berichten und Unterstützung zu suchen. Die FPO-Mitglieder übten sich im Nahkampf und im Umgang mit Waffen, die in das Ghetto geschmuggelt werden mussten. Sabotageaktionen wurden vorbereitet und ein Maschinengewehr ins Ghetto geschmuggelt. Mit sowjetischen Partisan/-innen wurde Kontakt aufgenommen – und noch vieles mehr.

Mit solchen Tricks wurden Waffen wie diese ins Ghetto geschmuggelt

Foto einer Pistole
Foto einer Pistole, wie sie auch während des Zweiten Weltkrieges in Gebrauch war
Der Schriftsteller Abraham Sutzkever schreibt in seinem Tagebuch über den Schmuggel der ersten Pistole ins Ghetto, in dem auch er leben musste:

»Borech Goldschtejn – das ist der Name des Mannes, der für die Organisation die erste Pistole ins Ghetto hereinbrachte. Das war Ende Januar 1942. Man hatte Borech zugleich mit 80 weiteren Juden zur Zwangsarbeit in das deutsche Munitionslager Burbischok geschickt. Unter starker SS-Bewachung schleppte er Bomben und belud Waggons. Mittags war eine halbe Stunde Ruhe angesagt. Die jüdischen Arbeiter krochen, unbemerkt von der Wache, durch die Drahtzäune und kauften bei den benachbarten Bauern Lebensmittel ein, um sie dann ins Ghetto zu schmuggeln. Borech suchte etwas anderes: Waffen und Munition für die Organisation. Er dachte sich einen Plan aus: umwickelte die linke Hand mit einem Tuch, weil sie angeblich geschwollen war, und zwei Tage ging er so zur Arbeit, damit es den Gendarmen am Ghettotor und der SS in Burbischok ins Auge fiel. Am dritten Tag […] band Borech an seine ›geschwollene‹ Hand eine Pistole, die er aus einem Bunker gestohlen hatte, und brachte sie so ins Ghetto.

Beim Tor kontrollierte damals gerade der ›Meister‹ – ein besonderer Filzer der Gestapo, dessen Aufgabe es war, jeden zu verhaften, der Esswaren durch das Tor hereintragen wollte. Der ›Meister‹ sprang zu Borech und begann ihn abzutasten, seine Kleidung zu durchsuchen. Als er Borechs ›geschwollene‹ Hand berührte, begann dieser vor Schmerz zu schreien. Der ›Meister‹ hat nicht weitergesucht. Von da an verging kein Tag, ohne dass Goldschtejn Waffen hereintrug.«

Quelle: Abraham Sutzkever (2009): Wilner Getto 1941–1944, Zürich, S. 162.

Was geschah mit den verschwundenen Ghettobewohner/-innen?

Foto einer Baugrube nahe Ponary
Die Sowjets hatten im ehemaligen Ausflugsort Ponary, nur wenige Kilometer außerhalb Wilnas, Baugruben ausgehoben.
Vorbereitung einer Massenerschießung im litauischen Ponary
SS-Einsatzkommandos, deutsche Ordnungspolizei und litauische Helfer trieben ihre meist jüdischen Opfer zu den Baugruben bei Ponary.
Aufnahme einer Massenerschießung im litauischen Ponary
Die Opfer mussten eine Schlange bilden und die Rampe zur Baugrube hinunter gehen. Das Bild wurde vermutlich 1941 aufgenommen.
Männer werden zu ihrer Erschießung in Ponary geführt.
Sie wurden ihrer Habseligkeiten beraubt, mussten ihre Kleidung ausziehen und ihre Augen verbinden. Das Bild wurde vermutlich im Juli 1941 aufgenommen.
Aufnahme einer Massenerschießung im litauischen Ponary
Litauische Helfer und Mitglieder von SS-Einsatzkommandos erschossen ihre Opfer in der Grube.

Nur wenige Kilometer von Wilna entfernt liegt der kleine Ort Ponary. Ponary war bekannt für seine wunderschöne Landschaft und daher ein beliebtes Ausflugsziel. Seit Juli 1941 nutzten deutsche SS-Einheiten und ihre litauischen Helfer die bereits von den Sowjets ausgehobenen Baugruben in Ponary für Erschießungen von Juden und Jüdinnen, Kommunist/-innen und Kriegsgefangenen. Nach der Einrichtung des Ghettos in Wilna wurden in mehreren »Aktionen« bis Dezember 1941 etwa 33.000 jüdische Frauen, Männer und Kinder dorthin geführt und umgebracht.

Symbolbild 4, Bombe
Kapitel 4
Vitka schlich sich eines Nachts durch das Tor: Sie schmuggelte eine selbstgebaute Bombe.

Im Sommer 1942 hatte sich die Führung der Widerstandsgruppe FPO dazu durchgerungen, eine erste Sabotageaktion zu wagen: Vitka wurde damit beauftragt, einen deutschen Truppenzug in die Luft zu sprengen. Sie hatte darauf bestanden, die Aktion durchführen zu dürfen und sich letztlich durchgesetzt.

Einen Zug wie diesen sprengte Vitka in die Luft
Foto eines von Partisan/-innen gesprengten Zuges
Ein von Partisan/-innen gesprengter Zug, in der Nähe von Wilna

Eine selbstgebaute Bombe diente als Sprengmaterial: Ein gerade einmal achtzig cm langes Rohr sollte ausreichen, den Zug zu zerstören. Dazu wurde es mit Sprengstoff gefüllt und mit einem einfachen Zünder versehen.

Vitka und ihre Helfer Izik und Mosche schafften die Bombe nachts heimlich aus dem Ghetto und brachten sie an einer bestimmten Stelle an den Gleisen an.

Vitka erzählt:

»Wir haben auf den richtigen Zeitpunkt gewartet. Dann haben wir das Rohr unter die Schienen gelegt und sind sofort weggelaufen. Aus der Entfernung haben wir die Explosion gehört.«

Quelle: Ingrid Strobl (1998): Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand 1939–1945, Frankfurt/Main, S. 264.

Die Aktion war erfolgreich, Waggons entgleisten und einige deutsche Soldaten wurden getötet. Die Wilnaer Zeitungen berichteten über den Vorfall. Die deutsche Besatzungsverwaltung reagierte auf solche Attentate mit äußerster Brutalität: Da es keine offensichtliche Verbindung zu jüdischen Widerstandskämpfer/-innen gab, nahmen sie Rache an den mehrheitlich christlichen Einwohner/-innen einer nahegelegenen Stadt, die sie für den Anschlag auf den Zug verantwortlich machten.

Wie wurde die Aktion von der FPO vorbereitet?

Foto des Eingangs zum Hauptquartier der FPO
Eingang zum Hauptquartier der FPO in der Straszuna-Straße im Ghetto Wilna

»Es war Abend. Die Mitglieder der Widerstandsgruppe FPO saßen im Ghetto Wilna zusammen und beratschlagten ihre erste Sabotageaktion. Dafür hatten sie sich einen riskanten Plan ausgedacht: Ein deutscher Truppenzug sollte mit Hilfe einer selbstgebauten Bombe in die Luft gesprengt werden. Die Kameraden waren nervös:

›Hör mal, Borech‹, sagte Itzik Witenberg, der Kommandant der FPO, zum Waffenmeister der Organisation, ›ich kenne dich als guten, getreuen Partisanen. Ich weiß auch, dass du dich auf Waffen verstehst; alle Pistolen, die du repariert hast, schießen ausgezeichnet. Hier handelt es sich nicht um Zutrauen. Versteh mich. Hier geht es darum, ob die Mine, die du im Ghetto gebaut hast, ganz sicher explodieren wird. Es ist die erste Sabotage … Falls die Bahn nicht in die Luft fliegt, werden wir sehr viel mehr verlieren, als wenn wir gar nichts tun […] Deshalb frage ich dich noch einmal: Bist du vollkommen sicher, dass die Mine explodieren wird?‹

›Ja, ich bin sicher‹, verkündete Waffenmeister Borech voller Überzeugung. Doch wer sollte die Sabotageaktion durchführen? Nur ein erfahrenes und vertrauenswürdiges Mitglied der FPO konnte mit einem solchen Auftrag betraut werden, grübelten die Männer. In diesem Moment stürmte Vitka Kempner in den Raum und übergab dem Kommandanten eine Zusammenfassung der neuesten Nachrichten über den Kriegsverlauf, die vom geheimen Ghettoradio abgefangen worden waren.

Sie wusste genau, worüber die Männer verhandelten und rief: ›Ich weiß, worum ihr feilscht. Mir muss man kein Geheimnis erzählen. Die ganze Nacht habe ich kein Auge zugetan. Kurz: Mein Name soll nicht Witke sein, wenn nicht ich die Bahn von den Gleisen kippen werde.‹

Die Männer brachen in schallendes Gelächter aus. Eine Frau, nein ein Mädchen von gerade einmal 22 Jahren sollte die erste Sabotageaktion der FPO durchführen? Undenkbar! Doch plötzlich unterbrach Itzik Witenberg, der Kommandant der FPO, das Gelächter und sagte ruhig: ›Gut, ich bin einverstanden. […]‹«

Quelle: Abraham Sutzkever (2009): Wilner Getto 1941–1944, Zürich, S. 179ff.

Was erlebte Vitka bei ihren nächtlichen Erkundungsgängen?

Foto von Vitka als Partisanin
Vitka als Partisanin mit der Waffe in der Hand. Das Foto wurde vermutlich im Jahr 1944 aufgenommen.

Vitka wollte die erste Sabotageaktion der FPO perfekt vorbereiten und unternahm mehrere nächtliche Ausflüge, um eine geeignete Stelle an den Gleisen zu finden, an der eine Bombe platziert werden konnte.

Die Vorgaben waren wohl überlegt: Der Zug sollte auf der Strecke Wilna – Polozk fahren und möglichst nachts unterwegs sein. Außerdem sollte am Ort des Anschlags kein jüdisches Arbeitskommando beschäftigt sein, um keinen Verdacht auf eine jüdische Beteiligung zu lenken.

Vitka streifte durch den Wald und mied kleinere Dörfer und offene Flächen, um nicht gesehen zu werden. Einmal verirrte sie sich bei ihrer Rückkehr an einen äußerst gefährlichen Ort.

Lies, was ihr passierte:

»Ich begriff plötzlich, dass ich mich auf einem deutschen Truppenübungsplatz befand. Ich konnte nicht mehr zurück, ich musste einfach weitergehen. Je weiter ich ging, desto mehr Deutsche sah ich und desto heftiger wurde geschossen. Ich beschloss, direkt zum Kommandanten zu gehen. Ich fing an, bitterlich zu weinen, und sagte, ich habe furchtbare Angst, ich habe mich verlaufen, bitte helfen Sie mir, hier wieder herauszukommen. Er gab mir zwei Soldaten mit, die mich auf den richtigen Weg führten.«

Quelle: Ingrid Strobl (1998): Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand 1939–1945, Frankfurt/Main, S. 257 ff.

Der junge Dichter Hirsch Glik schrieb ein Lied für Vitka

Hirsch Glik
Im Jahr 1942 schrieb der zwanzigjährige Dichter Hirsch Glik im Ghetto Wilna ein jiddisches Lied mit dem Titel »Schtil, di Nacht is ojssgeschternt«. Es war Vitka gewidmet.

Höre Dir hier »Schtil, di Nacht is ojssgeschternt« an, das Hirsch geschrieben hat. Es wird gesungen von der israelischen Sängerin Nizza Thobi.

»Schtil, di Nacht is ojssgeschternt«, gesungen von Nizza Thobi
Jiddisches Original

»Schtil, di Nacht is ojssgeschternt
un der Frosst hat schtark gebrent.
Zi gedenksstu wi ich hob dich gelernt
haltn a Schpajr in di Hent?

A Mojd, a Pelzl un a Beret
un halt in Hand fest a Nagan.
A Mojd mit a sametnem Ponim
hit op dem ssojne'ss Karawan.

Gezilt, geschossn un getrofn
hot ir kleijninker Pistojl!
An Oto, a fulinkn mit Wofn
farhaltn hot si mit ejn Kojl.

Fartog, fun Wald arojss gekrochn,
mit Schnejgirlandn oif di Hor,
gemutikt fun kleijninkn Nizochn
far unser najem, frajen Dor!«

Deutsche Übersetzung

»Still! Die Nacht ist voller Sterne.
Und es war beißender Frost.
Erinnerst du dich noch,
wie ich dir beigebracht habe,
ein Maschinengewehr in den Händen zu halten?

Ein Mädchen, ein Pelzchen, ein Barrett,
die Waffe fest in der Hand
ein Mädchen mit samtweichem Gesicht
beobachtet den Zug der Feinde.

Gezielt, geschossen und getroffen
hat ihre kleine Pistole!
Ein Auto, voll mit Waffen,
hat sie mit einer Kugel aufgehalten!

Noch vor Tagesanbruch aus dem Wald herausgekrochen
mit Schneegirlanden auf den Haaren.
Mutgestärkt von kleinen Siegen
für unsere neue, freie Zeit.«

Symbolbild 5, Vitka schleuste ihre Freunde in die Freiheit
Kapitel 5
Vitka schleuste ihre Freund/-innen durch die besetzte Stadt in die Freiheit.

Im Sommer 1943 musste Vitkas Widerstandsorganisation feststellen, dass der von ihnen geplante Aufstand im Ghetto Wilna nicht zustande kommen würde. Die Mehrzahl der Ghettobewohner/-innen lehnte ein gewaltsames Vorgehen ab: Sie glaubten, dass sie die Kriegszeit im Ghetto mit Zwangsarbeit überleben könnten und fürchteten sich vor Vergeltungsmaßnahmen der Deutschen.

Die FPO-Mitglieder waren fassungslos: Ihr Vorhaben, den Aufstand gegen die Besatzer anzuführen, war gescheitert. Was sollten sie tun? Folgenschwere Entscheidungen mussten getroffen werden.

Vitka erinnert sich:

»Wir verstanden, dass es unmöglich sein würde, nur im Ghetto zu kämpfen. Und wir entschlossen uns, Gruppen in den Wald zu führen.«

Vitka kämpfte mit der Waffe in der Hand
Foto von Vitka und ihren Freundinnen mit Waffen in der Hand
Die Partisaninnen Vitka Kempner, Roczka Korczak und Zelda Treger. Das Foto entstand vermutlich 1944.

Die FPO-Mitglieder suchten im Wald jedoch nicht nur nach einem guten Versteck, vielmehr wollten sie sich den sowjetischen Partisan/-innen, die sich dort versteckten, anschließen.

Hierbei hatte Vitka, die mit gefälschten Papieren in der Stadt lebte, eine entscheidende Aufgabe: Sie sollte die Widerstandskämpfer/-innen durch die besetzte Stadt zu den Partisan/-innen im Wald führen. Zusammen mit zwei anderen Helfer/-innen hatte sie diese bereits zuvor ausfindig gemacht.

Vitka erzählt:

»Wir gingen über die Planke [Zugang zum Versteck der Partisan/-innen] und erreichten den Wald. […] plötzlich hören wir Stimmen, die auf Russisch fragen, wer seid ihr? Und als wir aufschauen, sehen wir, dass dies unsere Kameraden waren … und unsere Freude war riesig. Wir küssten uns und waren sehr glücklich, denn wir hatten unsere Partisanen gefunden … Wir hatten gedacht, dass sie nicht mehr am Leben waren; sie hatten gedacht, dass wir nicht mehr am Leben waren.«

Quelle: Videointerview mit Vitka Kempner Kovner der Jewish Partisan Educational Foundation

Vitka und die anderen FPO-Mitglieder schlossen sich dem sowjetischen Partisanenverband an und versteckten sich ganze neun Monate im Wald, um von dort aus den Kampf gegen die Deutschen weiterzuführen. Vitka zum Beispiel sprengte die Wilnaer Elektrostation.

Für Vitka war es als Frau bei den Partisan/-innen nicht leicht

Ehemaliges Partisanenlager bei Wilna
Ehemaliges Partisanenlager bei Wilna

Vitka Kempner schildert ihre Erlebnisse als Frau bei den Partisan/-innen. Sie stellt fest, dass Frauen auch dort keineswegs als gleichberechtigt anerkannt wurde:

»Die russischen Partisanen glaubten nicht, dass Frauen genauso kämpfen konnten wie Männer, und vielleicht hatten sie damit sogar recht. Denn bei den Bedingungen unter den Partisanen war es für eine Frau tatsächlich schwieriger zu kämpfen. Aber wir gingen hinaus und sprengten Züge in die Luft, man musste viele Kilos an TNT tragen. Und für eine Frau war es wirklich schwierig 50 Kilometer mit dem TNT zu laufen. So passierte es, dass unsere Jungs mehr tragen mussten. Also sagten sie, wozu brauchen wir sie? Die Männer wollten uns nicht, nicht nur die Russen. Die Männer wollten die Frauen nicht mitnehmen. Abba zwang sie fast schon dazu, eine Frau bei jeder Operation dabei zu haben.

Aber die Wahrheit ist, es gab tatsächlich Schwierigkeiten. Für eine Frau war es unter den existierenden Bedingungen viel schwieriger als für einen (männlichen) Partisan. Mit der Ausnahme von Missionen wie Ausspähungen oder individuellen Operationen, einzelnen Sprengungen, Dinge, die Frauen taten, wenn sie in die Stadt gingen, oder Auskundschaftungen, dort waren sie gleichwertig. Aber bei Einsätzen war es wirklich schwierig. Nicht alle sehen das so, nicht alle Mädchen stimmen dem zu, aber ich denke, objektiv gesehen, war es schwierig.

Die Sowjets dachten nicht, dass Mädchen kämpfen konnten, obwohl sie einige hatten, aber wenige. Die meisten hatten keine. Und sie entwickelten eine Theorie, dass wer auch immer den Partisanen hilft, ein Kämpfer ist. Jemand, der für die kämpfenden Partisanen Kartoffeln schält, ist ein Kämpfer; wer auch immer Kleidung wäscht, ist ein Kämpfer. Das war ihre Idee. Das sagten sie immer. Aber unter uns waren Mädchen, die das Gefühl hatten, dieselbe Arbeit wie Männer tun zu können, und es war sehr schwer, sie davon zu überzeugen.«

Quelle: Videointerview mit Vitka Kempner Kovner der Jewish Partisan Educational Foundation

Vitka und ihrer Partisaneneinheit nach der Befreiung Wilnas

Ein Gruppenfoto von Vitka und den anderen Partisan/-innen
Von links nach rechts stehend: Elchanan Magid, Jakob Prener, Bluma Marcowicz, Abba Kovner, Roczka Korczak, Leib Saoirsztein, Vitka Kempner. Von links nach rechts kniend: Gerschon Griner, Pesach Miserec, Motl Shames

Als die sowjetischen Truppen im Juli 1944 Wilna zurückeroberten, zogen auch Vitka und die anderen voller Stolz in die Stadt ein. Das Foto ist am 14. Juli 1944 bei der Befreiung Wilnas entstanden und wurde von einem sowjetischen Kriegsfotografen aufgenommen. Es ist heute eines der bekanntesten Fotodokumente des jüdischen Widerstands.

Wie ging es für Vitka nach dem Krieg weiter?

Ein Foto von Vitka bei der Arbeit auf dem Feld
Vitka bei der Arbeit auf dem Feld im Kibbuz Ein Ha-Horesh
Vitka Kempner und Abba Kovner
Rechts im Bild steht Abba und links neben ihm Vitka.
Foto von Abba Kovner und Vitka Kempner Kovner
Vitka Kempner Kovner und Abba Kovner in Israel

1946 wanderte Vitka zusammen mit ihrem Freund Abba Kovner nach Palästina aus und ließ sich in einem Kibbuz nieder. Vitka und Abba waren zu dieser Zeit bereits ein Liebespaar und beschlossen, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Nach der Geburt ihrer zwei Kinder entschied sich Vitka, einen Neuanfang zu wagen und studierte Psychologie. Ihr Mann Abba wurde ein berühmter Dichter. Ihr Haus im Kibbuz war ein Treffpunkt für Künstler/-innen, Politiker/-innen und andere bekannte Persönlichkeiten.

Vitka Kempner

* Geboren 14. März 1920 (Kalisz) - Gestorben 15. März 2012
Skizze eines fliehenden Menschen, Symbolbild 1 von Christin Franke
© Christin Franke
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Fotografie der Stadt Kalisz
Die polnische Stadt Kalisz um 1930
© Tomasz Wiśniewski Collection
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Vitka Kempner in den 1930er Jahren
Eine Aufnahme Vitka Kempners aus den 1930er Jahren
© Rich Cohen (2000): The Avengers. A Jewish War Story. New York, S. 21.
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Notausgang
Foto eines modernen Notausgangschildes
© Rike / pixelio.de
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Hashomer Hatzair-Jugendgruppe mit Wappenfahne
Eine Hashomer Hatzair-Jugendgruppe mit Wappenfahne
© Hashomer Hatzair
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Symbolbild 2, Vitka färbte sich die Haare
© Christin Franke
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Postkarte mit einer Straße Wilnas
Im September 1941 wurden in Wilna zwei Ghettos inmitten der Stadt eingerichtet. Das Bild zeigt eine Postkarte mit einer Straße Wilnas.
© Tomasz Wiśniewski Coll.
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Fotografie Chaika Grossman
Dieses Foto von Chaika Grossmann wurde vermutlich 1945 in Polen aufgenommen.
© USHMM mit Genehmigung des Hashomer Hatzair and Moreshet Archives
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Uniformierte Männer vor dem Wilnaer Ghettotor
Uniformierte Männer stehen vor dem Wilnaer Ghettotor während einer »Aktion«.
© Yad Vashem
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Ausweis Chaika Grossmann
Die gefälschten Ausweispapiere von Vitkas Freundin Chaika Grossmann aus dem Jahr 1942 sind bis heute erhalten geblieben.
© Ghetto Fighters' House, Israel
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Karte von Polen in der Zwischenkriegszeit 1921–1939
Karte von Polen in der Zwischenkriegszeit 1921–1939
© Україна/wikimedia commons
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Symbolbild 3, Waffe
© Christin Franke
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Foto von Abba Kovner aus dem Jahr 1944
Das ist Vitkas Freund und späterer Ehemann Abba. Die Fotografie stammt aus dem Jahr 1944.
© USHMM
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Der Aufruf der FPO vom 1. Juli 1943
Aufruf der FPO vom 1. Juli 1943. Er ist auf Jiddisch geschrieben und ruft zum bewaffneten Widerstand gegen die deutschen Besatzer auf.
© Ghetto Fighters' House, Israel
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Foto einer Pistole
Foto einer Pistole, wie sie auch während des Zweiten Weltkrieges in Gebrauch war
© Rama, Wikimedia Commons, Cc-by-sa-2.0-fr
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Foto einer Baugrube nahe Ponary
Die Sowjets hatten im ehemaligen Ausflugsort Ponary, nur wenige Kilometer außerhalb Wilnas, Baugruben ausgehoben.
© Yad Vashem
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Vorbereitung einer Massenerschießung im litauischen Ponary
SS-Einsatzkommandos, deutsche Ordnungspolizei und litauische Helfer trieben ihre meist jüdischen Opfer zu den Baugruben bei Ponary.
© Yivo Institute über USHMM
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Aufnahme einer Massenerschießung im litauischen Ponary
Die Opfer mussten eine Schlange bilden und die Rampe zur Baugrube hinunter gehen. Das Bild wurde vermutlich 1941 aufgenommen.
© Yad Vashem
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Männer werden zu ihrer Erschießung in Ponary geführt.
Sie wurden ihrer Habseligkeiten beraubt, mussten ihre Kleidung ausziehen und ihre Augen verbinden. Das Bild wurde vermutlich im Juli 1941 aufgenommen.
© Yad Vashem
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Aufnahme einer Massenerschießung im litauischen Ponary
Litauische Helfer und Mitglieder von SS-Einsatzkommandos erschossen ihre Opfer in der Grube.
© Yad Vashem
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Symbolbild 4, Bombe
© Christin Franke
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Foto eines von Partisan/-innen gesprengten Zuges
Ein von Partisan/-innen gesprengter Zug, in der Nähe von Wilna
© Yad Vashem
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Foto des Eingangs zum Hauptquartier der FPO
Eingang zum Hauptquartier der FPO in der Straszuna-Straße im Ghetto Wilna
© Ghetto Fighters' House, Israel
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Foto von Vitka als Partisanin
Vitka als Partisanin mit der Waffe in der Hand. Das Foto wurde vermutlich im Jahr 1944 aufgenommen.
© Rich Cohen (2000): The Avengers. A Jewish War Story. New York, S. 226
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Hirsch Glik
Im Jahr 1942 schrieb der zwanzigjährige Dichter Hirsch Glik im Ghetto Wilna ein jiddisches Lied mit dem Titel »Schtil, di Nacht is ojssgeschternt«. Es war Vitka gewidmet.
© Yad Vashem
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Symbolbild 5, Vitka schleuste ihre Freunde in die Freiheit
© Christin Franke
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Foto von Vitka und ihren Freundinnen mit Waffen in der Hand
Die Partisaninnen Vitka Kempner, Roczka Korczak und Zelda Treger. Das Foto entstand vermutlich 1944.
© Yad Vashem
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Ehemaliges Partisanenlager bei Wilna
Ehemaliges Partisanenlager bei Wilna
© Nadja Grintzewitsch
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Ein Gruppenfoto von Vitka und den anderen Partisan/-innen
Von links nach rechts stehend: Elchanan Magid, Jakob Prener, Bluma Marcowicz, Abba Kovner, Roczka Korczak, Leib Saoirsztein, Vitka Kempner. Von links nach rechts kniend: Gerschon Griner, Pesach Miserec, Motl Shames
© Yad Vashem
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Ein Foto von Vitka bei der Arbeit auf dem Feld
Vitka bei der Arbeit auf dem Feld im Kibbuz Ein Ha-Horesh
© Rich Cohen (2000): The Avengers. A Jewish War Story. New York, S. 226.
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Vitka Kempner und Abba Kovner
Rechts im Bild steht Abba und links neben ihm Vitka.
© Rich Cohen (2000): The Avengers. A Jewish War Story. New York, S. 228.
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Foto von Abba Kovner und Vitka Kempner Kovner
Vitka Kempner Kovner und Abba Kovner in Israel
© Rich Cohen (2000): The Avengers. A Jewish War Story. New York, S. 248.
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