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2. April 1925Geburt
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April 1941Zwangsarbeit
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29. April 1941Brandstiftung
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28. Juni 1941Konzentrationslager
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8. Juli 1942Todesstrafe
Walerjan kam am 2. April 1925 im polnischen Dorf Fałków als ältestes von drei Kindern zur Welt. Sein Vater, Josef Wróbel, arbeitete als Dachdecker und war daher kaum zu Hause. Die meiste Zeit kümmerte sich die Mutter um die Kinder. Da die Familie christlich und sehr religiös war, besuchten sie sonntags die heilige Messe. Walerjan war jedoch nicht sonderlich interessiert an der Kirche, er spielte lieber Streiche, anstatt zu beten.
Zusammen mit seinem Freund Czesław Dąbrowski stellte Walerjan viel Unsinn an. Doch statt eines Lachens erhielt er Strafen. So musste er einmal für drei Tage in Arrest, weil er aus Spaß ein Fahrrad auseinandergeschraubt hatte: In seinem Übermut ging er mit Regeln und Grenzen spielerisch um und traf bei den Erwachsenen auf wenig Gegenliebe.
Laut einem Vernehmungsprotokoll der Gestapo sagte Walerjan später, dass er nach der vierten Klasse nicht mehr in die Schule gehen durfte, weil er die Altersgrenze für Volksschulkinder überschritten hatte und ihm ohnehin andere Dinge wichtiger waren als die Schule.
»Walerjan ist nicht gern zur Schule gegangen, aber wir mussten ja. Nach der Schule gingen wir dann zum Kühe hüten. Jeder hat seine Kuh alleine aufs Feld gebracht. Dabei hatten wir viele Flausen im Kopf. Wir haben die Kühe losgepflockt und über die Weiden gehetzt – und wir beide sind immer hinterhergerannt.«
Am 5. September 1939 zerstörte ein deutscher Luftwaffenangriff viele Häuser in Fałków, darunter auch die Häuser von Walerjans und Czesławs Familien.
Wie kam es zu dem Krieg, bei dem Walerjans Dorf zerstört wurde?
Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 setzte Reichskanzler Adolf Hitler auf Krieg und rüstete das Deutsche Reich entgegen allen internationalen Vereinbarungen wieder militärisch auf. Mit dem deutschen Einmarsch in Prag im März 1939 und der Zerschlagung der Tschechoslowakei wurde deutlich, dass die nationalsozialistische Führung die Verträge nicht beachtete und dass die Westmächte sich nicht wehrten.
Das nächste Ziel war das Nachbarland Polen. Hierfür musste man sich erst mit der Sowjetunion unter der Führung Josef Stalins arrangieren. Am 23. August 1939 schlossen das Deutsche Reich und die Sowjetunion einen Nichtangriffspakt, den Hitler-Stalin-Pakt. Darin vereinbarten sie im Geheimen auch, wie sie Polen zerschlagen und untereinander aufteilen würden.
Am 1. September 1939 begann mit dem deutschen Angriff auf Polen der Zweite Weltkrieg, der nur vier Tage später, am 5. September, auch Walerjans Dorf erreichte. Bis zur Befreiung 1944 kosteten Kampfhandlungen, Besatzungsherrschaft und Massenmord etwa fünf Millionen Pol/-innen, darunter drei Millionen Juden und Jüdinnen das Leben.
Walerjans erste Begegnung mit dem Krieg der Wehrmacht gegen Polen erfolgte in seinem Heimatdorf Fałków, das von deutschen Fliegern am 5. September 1939 verwüstet wurde. Die meisten Häuser brannten nieder. Sein Jugendfreund Czesław Dąbrowski berichtet später, sie hätten in der Zeit danach nicht viel zu tun gehabt – denn auch die Schule war zerbombt und die Lehrer/-innen geflohen. Angst prägte die allgemeine Stimmung.
Im April 1941, kurz nach Walerjans 16. Geburtstag, wurden die beiden Freunde – wie hunderttausende Pol/-innen vor und nach ihnen – zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt und dort ausgebeutet. Czesław erzählt später: »[Wir] haben nicht gewusst, dass sie uns zu so schwerer Arbeit fahren«.
Während der 24 Stunden dauernden Zugfahrt bekamen die Insass/-innen nur ein halbes Laib Schwarzbrot. Die Türen des Zuges waren während der Reise fest verschlossen. Außerdem wurde er von Wachmännern begleitet. Über Berlin und Braunschweig ging es nach Hannover, von wo aus man die Insass/-innen in verschiedene Städte verteilte. Walerjan und Czesław wurden getrennt.
Walerjan wurde als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter auf einem Hof in Bremen-Lesum zugeteilt. Er litt jedoch so sehr an Heimweh, dass er nur wenige Tage nach seiner Ankunft versuchte zu fliehen und zu Fuß nach Polen zurückzukehren. Er wurde jedoch erwischt und zurückgebracht.
»Schon im ersten Brief aus Bremen hat Walerjan darum gebeten, dass man ihn retten und irgendwie von dort rauskriegen soll. Aber die Eltern waren machtlos. Und dass ihm fror, hat er geschrieben, und dass ihm kalt war.
Die Eltern haben ihm gleich Bezugskarten geschickt für Kleider. Und sofort hat sich die Mutter hingesetzt […] und einen Anzug geschneidert. Wir hatten solche Bettdecken. Die haben sie genommen und daraus den Anzug geschnitten, ihn blau gefärbt und hingeschickt. Ob er ihn jemals bekommen hat, das weiß ich nicht. Ihm war kalt.«
Wieso wurde Walerjan zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt?
Während des Krieges wurden die meisten Männer im Deutschen Reich zum Kriegsdienst eingezogen und fehlten somit an ihren Arbeitsplätzen. Um diesen Mangel auszugleichen, wurden (Zwangs-)Arbeiter/-innen aus den besetzten Gebieten, auch aus Polen, geholt.
Anfangs wurden Arbeiter/-innen in den besetzten polnischen Gebieten noch »angeworben«. Da sich jedoch nur wenige freiwillig meldeten, begann die Besatzungsverwaltung, Zwang auszuüben. So drohte etwa Generalgouverneur Hans Frank der polnischen Bevölkerung am 24. April 1940 mit schweren Strafen:
»Um eine gerechte Ordnung herbeizuführen, mache ich deshalb der polnischen Bevölkerung zur Pflicht, sich auf Aufforderung durch die Arbeitsämter und Gemeinden für die Landwirtschaft nach Deutschland zur Verfügung zu stellen.
Diese Arbeitspflicht trifft in erster Linie Männer und Frauen, die in den Jahren 1915-1924 geboren sind. Wer nach einer solchen Aufforderung durch die Behörden versucht, sich dieser Arbeitspflicht zu entziehen, wird schwer bestraft. Die Polizei wird dafür sorgen, dass es keinem gelingt, sich der Arbeit zu entziehen.«
»Wer sich nicht pünktlich zur Abreise auf dem Bahnhof einfand, wurde anfänglich mit Geldbußen belegt, später wurde sein Eigentum konfisziert, seine Angehörigen in Haft genommen und bedroht, und der Betroffene selbst hatte Gefängnis- oder Konzentrationslagerhaft zu erwarten.«
1941 stammten rund sechzig Prozent der im Deutschen Reich arbeitenden Ausländer/-innen aus Polen. Im Sommer 1944 stellten sie mit 1,68 Millionen Menschen die zweitgrößte Gruppe der Zwangsarbeiter/-innen. Nur aus der Sowjetunion kamen zu diesem Zeitpunkt mehr: etwa 2,75 Millionen. Die meisten polnischen Arbeiter/-innen wurden während des Krieges im landwirtschaftlichen Bereich eingesetzt. Gerade anfangs hatte die Landwirtschaft Vorrang bei der Zuweisung von Zwangsarbeiter/-innen. Mit Fortschreiten des Krieges wurden jedoch mehr und mehr Zwangsarbeiter/-innen in der Industrie, vor allem in der Kriegsindustrie, eingesetzt.
Viele Arbeiter/-innen wurden in Nähe ihrer Betriebe in Barackenlagern untergebracht, wobei diese teils mit Stacheldraht umzäunt waren und bewacht wurden. Gerade polnische und sowjetische Zwangsarbeiter/-innen mussten häufig unter katastrophalen Bedingungen leben: Sie wurden von den Nationalsozialisten als »Untermenschen« angesehen. Entsprechend schlecht waren ihre Bezahlung, Unterkunft und Verpflegung. Nach der rassistischen Ansicht der Nationalsozialisten ging es ihnen damit immer noch besser als in ihrer Heimat, wo sie wie Tiere hausen würden.
Alle Arbeiter/-innen bekamen eine Arbeitskarte, die sie ständig bei sich tragen mussten. Das Arbeitsamt registrierte die ausgestellten Arbeitskarten und führte eine Arbeitsbuchkartei. Außerdem erstellte die örtliche Meldebehörde einen Eintrag mit den Daten der jeweiligen Person. Eine Kopie dieser Daten erhielt das Reichssicherheitshauptamt.
Walerjan wollte um jeden Preis wieder nach Hause
Am 29. April 1941, nicht lange nach seiner Ankunft auf dem Bauernhof, legte Walerjan in der Scheune ein kleines Feuer. Er hoffte, als Bestrafung zurück nach Hause geschickt zu werden. Die Tochter der Hofbesitzerin bemerkte den Brand schnell, so dass er bald gelöscht und kaum Schaden entstanden war. Auch Walerjan beteiligte sich an den Löscharbeiten. Dennoch wurde er kurz darauf verhaftet, von der Gestapo verhört und schließlich in das Konzentrationslager Neuengamme überstellt.
Am 28. Juni 1941 kam Walerjan in das Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg, wo er als Krimineller galt. Direkt nach seiner Ankunft wurde er vermutlich, wie alle anderen Häftlinge auch, am Kopf und im Intimbereich rasiert. Zudem nahm man ihm seine alte Kleidung ab und gab ihm blau-weiß gestreifte Häftlingskleidung, die im Winter kaum warm hielt. Er bekam eine Häftlingsnummer und musste ein farbiges Stoffdreieck auf seine Kleidung nähen, dass ihn als »kriminellen« Häftling kennzeichnete.
Die Verhältnisse, in denen er lebte, waren menschenverachtend. Oftmals gab es nicht genug Betten, so dass sich mehrere Häftlinge eines teilen mussten. Viele starben an Hunger, da es meist nur dünne Suppen und Lebensmittel von schlechter Qualität gab. Hunderte Häftlinge mussten sich an gerade einmal 15 Wasserhähnen waschen. Zum Rasieren mussten die Häftlinge oft gebrauchte und daher stumpfe Rasierklingen benutzen. Darüber hinaus mussten die Häftlinge zehn bis zwölf Stunden am Tag arbeiten. Sehr sehr viele Menschen starben unter diesen Arbeitsbedingungen – und das war von den Nationalsozialisten so geplant.
Walerjan lebte rund neun Monate im Konzentrationslager Neuengamme. Er lernte dort Michał Piotrowski kennen. Die beiden verbrachten viel Zeit miteinander und hielten zusammen. Als Michał Selbstmord begehen wollte, indem er zu nah an die bewaffneten Wachmänner heranlief, hielt Walerjan ihn auf und rettete ihm somit das Leben.
Michał beschrieb Walerjan später als sehr naiv: »Wenn du ihm sagst: ›das und das ist wahr‹ […] – der glaubt das sofort.« Walerjan soll manchmal mehr Angst um seine Familie gehabt haben, als um sich selbst.
Was war das KZ Neuengamme für ein Lager?
Das Konzentrationslager Neuengamme befand sich im Osten Hamburgs, im Stadtteil Bergedorf. Es wurde 1938 als Außenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen gegründet und wurde 1940 zu einem eigenständigen Lager. Über 80.000 Männer und 13.000 Frauen wurden nach Neuengamme gebracht, hinzu kamen etwa 6.000 weitere Personen, die dort nicht offiziell registriert wurden. Die Häftlinge wurden im Lager vor allem zur Ziegelproduktion eingesetzt.
Der Tagesablauf der Häftlinge war grausam und sah in etwa so aus:
• Gegen 3.00 Uhr aufstehen
• Gegen 4.00 Uhr Frühstück mit Ersatzkaffee und einer trockenen Scheibe Brot
• Gegen 4.30 Uhr Morgenappell
• Arbeitseinsatz (zehn bis zwölf Stunden)
• Mittags Wassersuppe als Mittagessen
• Arbeitseinsatz
• Abends Abendappell und Abendessen
• Gegen 21.00 Uhr Nachtruhe
Der harte Tagesablauf, mangelnde Hygiene, Misshandlungen und das wenige Essen führten dazu, dass viele Häftlinge an Hunger, Kälte, Erschöpfung und Krankheiten starben. Viele waren so erschöpft und verzweifelt, dass sie Selbstmord begingen und in den elektrisch geladenen Zaun liefen oder sich von den Wachen erschießen ließen. Die Verstorbenen wurden in einem Krematorium verbrannt. Die anderen Lagerinsass/-innen litten unter dem Verbrennungsgeruch.
Weil die Rote Armee immer näher kam, begann die SS im März 1945 mit der Räumung des Konzentrationslagers. Die Nationalsozialisten wollen verhindern, dass die Gefangenen befreit würden. Die Häftlinge wurden entweder in Güterwaggons oder zu Fuß aus dem Lager getrieben, sie erhielten kaum Essen und Trinken. Auf diesen Todesmärschen kamen viele Menschen ums Leben. Als britische Soldaten das Lager im Mai 1945 erreichten, fanden sie es verlassen vor.
Bis zur Eröffnung einer Gedenkstätte im Mai 2005 wurde das ehemalige Lagergelände unterschiedlich genutzt:
• 1945 bis 1948 als Internierungslager für NS-Funktionäre, SS-Führer und nationalsozialistische Staatsbeamte
• Ab 1946 auch als Durchgangslager für deutsche Familien, die aus asiatischen, afrikanischen und europäischen Ländern ausgewiesen worden waren
• 1948 bis 2005 als Gefängnis: Justizvollzugsanstalt XII und ab 1970 auch als Justizvollzugsanstalt IX
Was für einen Winkel erhielt Walerjan im Lager?
Die Häftlinge in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern wurden in verschiedene Gruppen eingeteilt. Sie mussten farbige Stoffdreiecke, Winkel genannt, als Kennzeichnung ihrer Häftlingsgruppe auf der Kleidung tragen.
Die einzelnen Gruppen wurden unterschiedlich behandelt. Jüdische Häftlinge wurden zum Beispiel schlechter behandelt, als nichtjüdische, dänische Gefangene.
Walerjan trug aufgrund seiner Einteilung als »Krimineller« einen grünen Winkel. Da sein Herkunftsland Polen war, wurde er höchstwahrscheinlich zusätzlich auch mit einem lilafarbenen »P« gekennzeichnet.
Michał Piotrowski war für Walerjan das, was in einem Konzentrationslager einem Freund am nächsten kommt. Seit ihrer ersten Begegnung im Lager haben die beiden Jungen sich gegenseitig unterstützt.
Sie lernten sich bei der Arbeit im Elbkommando kennen. Eines Tages fiel Walerjans Schubkarre ins Wasser. Er sprang ihr hinterher, obwohl er nicht schwimmen konnte. Michał überlegte nicht lange und rettete den Ertrinkenden.
Seither waren die beiden oft zusammen. Walerjan erzählte von seiner Familie, der Schule und dem Leben vor der Verschleppung ins Deutsche Reich. Das Vertrauen wurde größer und die zwei erzählten sich mit der Zeit immer mehr.
»Am meisten, das heißt sehr oft, fragt man: ›Von wo bist Du?‹ […] So war das auch mit Wałerek. Zuerst: ›Woher kommst Du ‹ – ›Aus Warschau!‹ Und ein paar Tage später: ›Woher kommst du?‹ – ›Eigentlich aus Kielce.‹ Das ist immer noch eine große Stadt. Wieder etwas später: ›Aus Końskie.‹ Das ist eine Kleinstadt. Und dann am Schluss: ›Ich bin aus Fałków.‹ – Das war sein Dorf, ein kleines Dorf, sehr klein.«
»Noch einmal die Freundschaft. Wissen Sie, die Arbeit war so schwer, dass ich einmal gedacht habe: ›Du kannst nicht mehr.‹ Und will die Karre stehen lassen und auf die Postenkette gehen. Das heißt dann: ›Auf der Flucht erschossen.‹ […] Wenn einer auf die Linie zwischen den Posten geht, […] – ein paar Schritte und schon erschossen. […]
Aber dieses Mal, das war ganz schlimm mit mir: Kein Mut mehr. Und die Karre lass ich stehen und geh los auf die Postenkette. Und der Walerie sieht das, kommt hergerannt, zieht mich am Arm zurück und sagt: […] ›Gott wird helfen, aber wir beide müssen zusammenbleiben. Komm zurück! ‹ – Und ich bin zurückgegangen.«
»Freundschaft, ja, das gibt es schon so zwischen jungen Leuten. Normalerweise. Aber wenn alle rennen? […] So viel Freundschaft ist das nicht, kann das nicht sein.«
Was war das Elbkommando?
Das Kommando Elbe gehörte zu den Arbeitskommandos des KZ Neuengamme mit den schwersten Bedingungen. Die Überlebenschancen der Häftlinge waren dort besonders gering. Die Angehörigen dieses Arbeitskommandos sollten die Dove-Elbe, einen Nebenarm der Elbe, für den Schiffsverkehr nutzbar machen und ausbauen. Damit sollte ein direkter Wasserzugang zum Klinkerwerk, einer Fabrik, in der Häftlinge Ziegel herstellen mussten, geschaffen werden.
Aufgabe des Kommandos Elbe war es, den Flusslauf zu verbreitern und mit Hilfe eines Kanals zu verlängern. Dabei waren die Häftlinge nicht nur den extrem schweren Arbeitsbedingungen ausgesetzt, sondern auch der Willkür und den Misshandlungen der Wachmannschaften.
»Das ging so: Da ist ein Schwimmbagger auf dem Wasser im Kanal. Und der schmeißt den Schlamm auf die Ufer, nach links, nach rechts. Das ist die einzige Maschine bei dem Kommando – alles andere geht von Hand: Häftlingsarbeit. […] Die einen haben die Schaufel, die andern haben die Schubkarre. Und die mit der Schaufel schaufeln auf die Schiebkarre – und dann weg mit der Erde oben auf die Böschung, wo das planiert werden muss.
Das ist solch ein Kreis mit den Schubkarren, ständig in Bewegung, immer weiter, immer weiter. Du darfst nicht anhalten, nicht ausruhen. Die Karren schieben wir auf solchen Unterlagen, wissen Sie, Brettern – bis dahin, wo sie ausgekippt werden. Dann zurück, ohne Halt, weiter im Ring, zurück zu den Häftlingen mit der Schaufel: wieder Erde drauf auf den Karren, weiter im Ring, oben auskippen und so weiter. Niemand darf raus aus dem Ring.«
Walerjan dachte, er kommt durch den Brand, den er im April 1941 legte, wieder nach Hause. Doch stattdessen wurde er vor einem Sondergericht in Bremen angeklagt und Anfang Juli 1942 in einem Prozess, der gerade einmal zweieinhalb Stunden dauerte, zum Tode verurteilt.
Das extrem kurze Gerichtsverfahren und die harte Strafe war nach der Polenstrafrechtsverordnung geregelt, die ab Ende 1941 für polnische Zwangsarbeiter/-innen galt. Ziel der Richter war es, Walerjan zur Abschreckung besonders hart zu bestrafen. Ein Gnadengesuch, in dem der Verteidiger darauf hinwies, dass Walerjan noch nicht einmal 18 Jahre alt sei, lehnte der spätere Präsident des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, ab.
In der »Niederschrift über das Verhalten des Wróbel vom Zeitpunkt der Eröffnung der bevorstehenden Vollstreckung bis zur Vollstreckung« steht geschrieben:
»Wróbel nahm das Urteil ruhig entgegen und fragte, ob er seine Tat nicht auf andere Weise büßen könne, sonst käme er ja nie wieder zu seinen Eltern zurück. […] Er meinte, wenn er vielleicht sterben müsste im Alter von 40 Jahren, so wäre das ja nicht so schlimm, aber schon so jung sterben zu müssen, sei doch sehr hart und er habe doch noch nichts vom Leben gehabt. Sein Benehmen und seine Äußerungen machten einen sehr kindlichen Eindruck. […]
Er schrieb einen Brief an seine Eltern. Der katholische Anstaltsgeistliche, Pfarrer Behnen, schenkte Wróbel mehrere Heiligenbilder, die dieser, nachdem er sie mit seinem Namen versehen hatte, dem Pfarrer zurückgab mit der Bitte, sie an seine Eltern zu senden. Sein ganzes Verhalten verriet immer wieder sehr starkes Heimweh. Um 4 Uhr erhielt er die Kommunion. Auch im weiteren Verlauf der Nacht blieb er gleichmäßig ruhig, nur als er zu seinem letzten Gang fertig gemacht wurde, wurde er etwas aufgeregt.«
Walerjan hat einen Abschiedsbrief an seine Familie verfasst. Der künstlerisch begabte Junge fügte seinem Brief eine Zeichnung hinzu.
Am 25. August 1942 wurde Walerjan mit einem Fallbeil ermordet. Zur Bekanntgabe seiner Hinrichtung wurden an über 250 Stellen in Bremen Plakate aufgehängt.
Was war das für eine Verordnung, die Walerjan zum Verhängnis wurde?
Die Polenstrafrechtsverordnung wurde am 4. Dezember 1941 erlassen. Sie galt für Pol/-innen sowie Juden und Jüdinnen in den ins Deutsche Reich eingegliederten polnischen Gebieten. Sie fand aber auch gegenüber polnischen Zwangsarbeiter/-innen im gesamten Deutschen Reich Anwendung.
Auf Grundlage dieser Verordnung war ein stark verkürztes Gerichtsverfahren möglich und das Urteil, das aus dieser Verordnung hervorging, lautete oftmals: Todesstrafe. Nach 1945 wurde die Verordnung als Kriegsverbrechen eingestuft.
Wie wird heute an Walerjan erinnert?
Erinnern ist wichtig. Darin sind sich die meisten Menschen wohl einig. Gerade an die Verbrechen der Nationalsozialisten muss erinnert werden, damit so etwas nie wieder passiert. Gedenken muss man aller Opfer der Nationalsozialisten. Auch derer, die unter dem nationalsozialistischen Regime zu Unrecht vor Gericht verurteilt wurden. An jedem 27. Januar, dem jährlichen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, wird im Landgericht Bremen an Walerjan und andere Opfer erinnert.
Walerjan wurde am 8. Juli 1942 im Raum 145 des Landgerichts Bremen zum Tode verurteilt. An jenem Raum (heute Saal 231) erinnert seit 1984 eine Gedenktafel an ihn und an die insgesamt 54 Opfer der damaligen Unrechtsprechung. Das Todesurteil gegen Walerjan wurde erst drei Jahre später, am 26. November 1987, als »typischer Fall nationalsozialistischen Unrechts« aufgehoben.
Das heutige Gedenken steht im krassen Gegensatz zu der Tatsache, dass die Richter und Staatsanwälte, die für die Verurteilung Walerjans und der anderen verantwortlich gewesen sind, ihre Karrieren in der Justiz nach Kriegsende ungehindert fortführen konnten. Auch der damals verantwortliche Staatsanwalt Dr. Egon Z. war noch lange im Anwaltsverzeichnis zu finden. Als dieser 1987 von einem Reporter gefragt wurde, ob er sich an Walerjan erinnere, antwortete er: »Ich habe heute ganz andere Interessen.«
Über Walerjans Schicksal wurde ein Buch geschrieben und sogar ein Film gedreht
Dafür, dass Walerjans Geschichte nicht in Vergessenheit geriet, sorgte der deutsche Rechtshistoriker Prof. Christoph U. Schminck-Gustavus. Er hat Walerjans Leidensweg nachgezeichnet und 1986 in seinem Buch »Das Heimweh des Walerjan Wróbel. Ein Knabe vor Gericht 1941/42« veröffentlicht. Viele der hier verarbeiteten Informationen gehen auf seine Forschungen zurück. Walerjans Leben wurde zudem 1991 von Rolf Schübel verfilmt.