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8. September 1925Geburt
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April 1941Ghetto
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November 1942Flucht
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25. Mai 1943Konzentrationslager
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Januar 1945Todesmarsch
Izabela Rubinstein wurde am 8. September 1925 als zweitjüngste von insgesamt neun Geschwistern geboren. Von ihrer Familie und ihren Freund/-innen wurde sie Iza gerufen. Warum sie hier trotzdem Batsheva genannt wird, erfährst du bald.
Die Familie wohnte in der polnischen Industriestadt Łódź. In dieser Zeit arbeiteten die meisten Menschen der Stadt in der Textilindustrie. Batshevas Vater hatte eine kleine Weberei, die Mutter war Schneiderin.
1939, wenige Tage vor Batshevas 14. Geburtstag, wurde Polen vom Deutschen Reich überfallen. Die Soldaten erreichten Batshevas Heimatstadt genau am 8. September – ein schrecklicher Geburtstag! Die Gegend, in der die Familie wohnte, wurde als »Reichsgau Wartheland« zu einem Teil vom Deutschen Reich erklärt. Łódź wurde zu Litzmannstadt.
Das Leben wurde auf einen Schlag vollkommen anders. Als erstes wurden die Schulen geschlossen und das Lernen verboten. Batsheva fand das schlimm.
»Ich habe darunter sehr gelitten, weil ich gern zur Schule ging. Wir haben dann geheimen Unterricht organisiert. Bei einer Familie lernten wir Mathematik, bei einer anderen polnische Literatur, bei der dritten Geografie und so weiter. Wenn wir in den Fenstern sahen, dass Soldaten vorbeikamen, haben wir unsere Schulbücher und Hefte unter dem Tisch oder unter den Betten versteckt. Sie durften nicht erkennen, dass da gelernt wurde.«
Was hatten die Deutschen mit Batshevas Heimat vor?
Den Angriff auf das Nachbarland Polen hatte die nationalsozialistische Führung sorgfältig vorbereitet und ihre Interessen mit denen des sowjetischen Diktators Stalin abgestimmt: Dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 wurde ein geheimes Zusatzprotokoll beigefügt, in dem die künftige Aufteilung Polens zwischen beiden Staaten verabredet wurde: Das Deutsche Reich sollte die westlichen Gebiete kontrollieren, die Sowjetunion die östlichen.
Batshevas Heimatstadt Łódź hatte früher einmal zum Russischen Reich gehört. Schon seit Jahrhunderten lebten dort auch Deutsche als eine kleine Minderheit. 1931, als Batsheva sechs Jahre alt war, sprachen ungefähr neun Prozent der Bevölkerung deutsch. Nach dem Überfall auf Polen im September 1939 wurde das Land, wie zuvor ausgehandelt, aufgeteilt. Die westlichen Gebiete bis Łódź wurden als »Reichsgau Wartheland« zu einem Teil des Deutschen Reich erklärt, das restliche Polen bis zur neuen Grenze mit der Sowjetunion im Osten wurde besetzt und erhielt die Bezeichnung »Generalgouvernement«.
Der »Warthegau« und damit auch Łódź, das von den Deutschen Litzmannstadt genannt wurde, sollten nach und nach vollständig »deutsch gemacht« werden. Die dort ansässige Bevölkerung wurde deshalb danach bewertet, ob sie »eindeutschungsfähig« sei oder nicht. Die polnischen Juden und Jüdinnen hatten in dieser größenwahnsinnigen Vision keine Chance: Sie wurden systematisch entrechtet, ausgegrenzt und eingesperrt, als Zwangsarbeiter/-innen gequält, deportiert und ermordet.
In Łódź verlief das so: Zunächst verboten die Deutschen den Textilhandel für jüdische Händler/-innen, obgleich dies der wichtigste Wirtschaftszweig der Stadt war. Am 10. November 1939 wurden alle Synagogen in Brand gesteckt, die Aufräumarbeiten mussten die jüdischen Stadtbewohner/-innen durchführen. Dann wurde im Februar 1940 ein Ghetto im Armenviertel Baluty errichtet, das von Anfang an hoffnungslos überfüllt war und kein funktionierendes Abwassersystem hatte. Eine schnelle Ausbreitung von Krankheiten war die Folge. Der Bereich wurde umzäunt und mit Wachen umstellt.
Die Ghettobewohner/-innen mussten Zwangsarbeit für die deutsche Kriegsindustrie leisten. Über 40.000 Menschen starben an Krankheiten und Unterernährung, und zusätzlich fuhren immer wieder Transporte in das Vernichtungslager Kulmhof. Das Ghetto Litzmannstadt war eins der ersten, das von den deutschen Besatzern in Polen eingerichtet wurde, und es existierte am längsten.
Vor der Einrichtung des Ghettos für die jüdische Bevölkerung in Łódź kursierten bereits Gerüchte darüber. Daher beschloss Familie Rubinstein, nicht in Łódź zu bleiben. Fünf der älteren Geschwister flohen in die Sowjetunion, die Eltern mit ihren drei Töchtern Sabina, Batsheva und Genia in die östlich von Łódź gelegene Stadt Radom. Batshevas Bruder Hersz war bereits ein Jahr zuvor nach Palästina ausgewandert.
Radom lag im »Generalgouvernement«, dem Teil Polens, der zwar von den Deutschen besetzt, aber nicht in das Deutsche Reich eingegliedert worden war. Die Rubinsteins hatten dort Verwandtschaft, bei der sie unterkommen konnten.
Verbote beherrschten das Leben der jüdischen Bevölkerung der Stadt und es sollte noch schlimmer kommen. Denn im Frühjahr 1941 wurden auch in Radom zwei Bereiche der Stadt zum Ghetto erklärt. Über 30.000 Menschen wurden dort eingesperrt. Die Lebensumstände waren katastrophal. Die Menschen litten Hunger und mussten Zwangsarbeit leisten, dazu kam die ständige Angst vor den Gewaltausbrüchen der deutschen Besatzer.
Die fünf Rubinsteins wohnten bei der Familie eines Onkels in einem Haus, das auf dem Gebiet des sogenannten kleinen Ghettos lag. Etwa 8.000 Menschen waren im kleinen Ghetto untergebracht. Der Familie gehörte eine Eisengießerei, in deren Küche Batsheva und Sabina arbeiteten. Auch die lag im Bereich des kleinen Ghettos.
Batsheva versuchte, sich nicht unterkriegen zu lassen. Schon vor dem Krieg war sie Mitglied in einer zionistisch-sozialistischen Jugendbewegung namens Hashomer Hatzair gewesen. Dort sollten die Jugendlichen auf ein Leben in Palästina vorbereitet werden – und dazu wählte Izabela den hebräischen Namen Batsheva für sich. (Als sie nach dem Krieg tatsächlich nach Palästina auswanderte, wechselte sie ihren Vornamen auch offiziell.) Jetzt, im Krieg, übernahm die Organisation, die trotz ihres Verbots heimlich weiter existierte, eine wichtige Rolle im Widerstand gegen die Deutschen. Batsheva half tatkräftig mit.
Sie führte im Jahr 1942 mehrere Botengänge zum weiter nördlich gelegenen Ghetto von Warschau durch und traf dabei mit den Führern des dortigen Widerstands zusammen, darunter Mordechaj Anielewicz, der später den Aufstand im Warschauer Ghetto anführte. Von dort schmuggelte sie eine Untergrundzeitung zurück nach Radom. Diese Tätigkeiten waren sehr gefährlich und hätten Batsheva sicher das Leben gekostet, wäre sie erwischt worden.
Welche Aufgaben hatte Batsheva bei Hashomer Hatzair?
Hashomer Hatzair wurde 1913 als politisch aktive Jugendorganisation gegründet. Ihr Ziel war es, die jüdische Jugend für den Zionismus, also den Aufbau eines jüdischen Staates, zu begeistern. Die Vorbereitung auf ein Leben in Palästina, wo dieser Staat entstehen sollte, stand bei den verschiedenen Aktivitäten im Mittelpunkt.
Nach der Besetzung Polens durch das Deutsche Reich war der Gedanke, nach Palästina auszuwandern, für viele noch attraktiver als jemals zuvor. Doch das Reisen war nun nahezu unmöglich. Die Jugendorganisation versuchte deshalb, ihre Mitglieder im Ghetto durch das Gefühl des Zusammenhalts zu unterstützen, engagierte sich aber auch ganz konkret im Widerstand gegen die deutschen Machthaber.
Batsheva erhielt 1942 eine wichtige und gefährliche Aufgabe: Sie sollte den Kontakt zu den Hashomer Hatzair-Mitgliedern im Warschauer Ghetto halten. Das bedeutete, nach Warschau zu reisen, die verantwortlichen Mitglieder im dortigen Ghetto zu treffen und die Zeitung der Organisation, die heimlich in Warschau gedruckt wurde, nach Radom zu bringen. Natürlich war es verboten, die Ghettos ohne Genehmigung zu betreten und zu verlassen oder durch das Land zu reisen.
Batsheva war ausgesucht worden, weil ihr akzentfreies Polnisch sie nicht als Jüdin verriet. Mit einem Passwort ausgestattet – »szafa gra«, auf Deutsch: »der Schrank spielt« – und Geld zur Bestechung derjenigen, die die Löcher in der Mauer auf beiden Seiten bewachten – gelang es ihr tatsächlich, in das abgeriegelte Warschauer Ghetto vorzudringen und sich mit Mordechaj Anielewicz, der später den Ghetto-Aufstand anführen sollte, zu treffen.
Die Lebensbedingungen im Warschauer Ghetto waren katastrophal, Batsheva sah Leichen in den Straßen liegen, nur mit einer Zeitung bedeckt.
»[…] als ich das zweite Mal nach Warschau kam und im Ghetto war, wollte ich mit der Straßenbahn zurück auf die arische Seite fahren. Man konnte aus dem Ghetto mit der Straßenbahn herausfahren, musste nur unterwegs hineinspringen. Ich setzte mich in der Straßenbahn in die Nähe einer Frau mit zwei Kindern. Als der Schaffner kam und nach den Fahrkarten fragte, war ein junger Pole in der Straßenbahn. Er schaute uns in die Augen, zeigte auf die Frau, die Kinder und mich und sagte: ›Żydówa, Żydowica‹, das sind Spottnamen für Juden. Als wir die Straßenbahn verlassen wollten, hat er mich festgehalten und gerufen: ›Policja!‹ Ich wusste schon, dass er Geld wollte und weil mir mein Leben wichtiger war, habe ich einfach gefragt: ›Wie viel willst du?‹ Ich gab ihm beinahe alles, was ich hatte und behielt nur das Geld für die Bahnkarte. Da ließ er mich los.
[…] Als ich in Radom ankam, wurden wieder alle am Bahnhof durchsucht. Die Deutschen suchten nach Juden. Ich hatte die Binde mit dem Davidstern in meiner Tasche versteckt. Hätten die Gendarmen den Stern gefunden, gäbe es mich heute nicht mehr.«
Nach dieser zweiten Reise erklärte sie, diese Aufgabe nicht mehr übernehmen zu können – sie hatte einfach zu viel Angst.
Von den neun Geschwistern überlebten nur Batsheva und drei Brüder die Zeit der Verfolgung
Im August 1942 lösten die Deutschen die beiden Ghettos von Radom nacheinander auf. Der Großteil der Bewohner/-innen wurde in das Vernichtungslager Treblinka gebracht und dort ermordet. Die Räumung begann am 5. August 1942 im kleinen Ghetto.
»Das war für mich das größte traumatische Erlebnis. Mitten in der Nacht kamen die Soldaten von den Einsatzgruppen und befahlen, dass wir uns innerhalb von zehn Minuten mit kleinem Gepäck an einer bestimmten Stelle einzufinden hätten. Dort fand die Selektion statt. Die jungen Menschen sollten sich auf die eine Seite stellen, die älteren auf die andere – das waren auch meine Schwester Genia und meine Eltern. Sie wurden nach Treblinka verschleppt, dort vergast und verbrannt. Ich bin mit meiner kleinen Schwester Sabina allein geblieben. Tage- und nächtelang habe ich geweint.«
Batsheva und Sabina schliefen zunächst im großen Ghetto. Doch dort war es noch schlimmer, weil dort viel mehr Menschen lebten. Die Zimmer waren so überbelegt, dass man sich beim Schlafen nicht einmal hinlegen konnte. Und auch von hier wurden in den nächsten Tagen zehntausende Menschen in den Tod geschickt.
Die Mädchen entschlossen sich zur Flucht – getrennt voneinander. Batsheva sollte es als Erste versuchen, Sabina später nachkommen. Als Ziel hatten sich die Beiden ausgerechnet das Deutsche Reich ausgesucht. Sie waren der Meinung, dort in der Fremde mit einer falschen Identität sicherer zu sein als in Polen.
Ausgestattet mit den Papieren einer polnischen Freundin, die als Zwangsarbeiterin in das Deutsch Reich verschleppt werden sollte, floh Batsheva aus dem Ghetto. Sie verließ, getarnt mit einer Armbinde, auf der der Buchstabe »P« für »Pole« aufgedruckt war, und einem christlichen Gebetbuch das »Generalgouvernement« mit der Bahn Richtung Westen und meldete sich anstelle ihrer Freundin als Dienstmädchen bei einem Landgerichtsdirektor in Schwerin.
Die Familie, für die sie nun arbeiten musste, war überzeugt von Nationalsozialismus. In ihrer Weltsicht waren Pol/-innen »Untermenschen«. Amüsiert erinnert sich Batsheva, dass diese Leute über den intelligenten Eindruck verwundert waren, den sie dort machte: Eine Polin hätte in ihren Augen eigentlich dumm sein müssen.
Batshevas Gedicht über das Untertauchen in Polen und dem Deutschen Reich
Batsheva und ihre Schwester Sabina waren sich sicher, dass man sie in ihrem Heimatland schneller enttarnen würde, wenn sie dort so tun würden, als seien sie polnische Christinnen. Ihr Blick würde sie verraten. Batsheva, die sich auch als Dichterin mit ihrer Verfolgungsgeschichte auseinandergesetzt hat, schrieb hierzu ein Gedicht:
Die polnische Sprache
beherrschte ich, so reich sie war
und ohne Einsprengel jüdischer Mundart.
Meine Augenfarbe war grün,
meine Hautfarbe hell,
die Nase gerade,
glatt auch das Haar.
Was kennzeichnete mich also?
Der Blick!
Ich war nicht im Stande
die Angst in meinen Augen zu verbergen.
Ihre Traurigkeit ebenso wenig,
eine, die ich nie zuvor kannte.
Daher war ich Gefahr und
Belästigungen ausgesetzt.
Es war eine Traurigkeit,
erfüllt von Leid und Angst.
Angst um mein Leben,
vor den kommenden Ereignissen
und vor der Zukunft.
Wie war das, als Dienstmädchen für eine Nazi-Familie zu arbeiten?
Als Dienstmädchen getarnt, hätte sie den Krieg unbehelligt überstehen können, doch sie flog auf. Bis heute ist nicht bekannt, wer sie verriet.
Wie ging es nach der Verhaftung weiter?
Nach ihrer Verhaftung in Schwerin im März 1943 wurde Batsheva in insgesamt sechs verschiedenen Gefängnissen inhaftiert. Als die Gefängnisleiterin in Schwerin hörte, dass Batsheva Jüdin war, ging sie gleich auf Abstand und sprach nicht mehr mit ihr.
Am nächsten Tag wurde die 17-Jährige nach Güstrow verlegt, wo sich das Gefängnis in einem Schloss befand. Dort erkrankte sie schwer an Scharlach, bekam aber keine Medizin – niemand kümmerte sich um sie. Nach sechs Wochen verlegte man Batsheva nach Neubrandenburg. Dort teilte sie ihre Zelle mit einer Russin, die eine Liebesbeziehung zu einem deutschen Soldaten gehabt hatte. Während ihrer Haft kam einmal ein Polizist zu ihr und gab ihr ein Stück Brot mit Ei, um sie aufzuheitern.
Anschließend wurde Batsheva nach Berlin in das Gestapogefängnis am Alexanderplatz gebracht – dort gab es immerhin richtige Toiletten, und mit den anderen inhaftierten Frauen verstand sie sich gut. Aber während dieser ganzen Zeit hatte sie keine Ahnung, was die deutsche Polizei mit ihr vorhatte. Von Berlin wurde sie nach Breslau verlegt, einem schrecklichen Gefängnis, in dem die Gefangenen brutal geschlagen wurden. Ihre letzte Haftstation war Beuthen in Schlesien. Von dort wurde sie zwei Monate nach ihrer Verhaftung, am 25. Mai 1943, in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt.
Den Namen Auschwitz hatte Batsheva schon gehört, sie hatte aber keine Vorstellung davon, was für ein Ort das eigentlich war. Nach ihrer Ankunft dort passierten so viele verstörende Dinge, dass sie zunächst nicht verstand, wo man sie hingebracht hatte. Sie musste sich einer Selektion unterziehen, bei der die Menschen in »arbeitsfähig« und »nicht arbeitsfähig« eingeteilt wurden. Die 17-Jährige wurde als »arbeitsfähig« eingestuft.
Dann wurden ihr die Haare abgeschoren und eine Häftlingsnummer eintätowiert: 45554. Zum Anziehen bekam sie eine russische Armeeuniform und zwei linke Holzschuhe. Keine Unterwäsche, keine Socken, keine Mütze. Um den nackten Kopf wickelte Batsheva einen Lumpen, um die Füße einen jüdischen Gebetsschal. In kürzester Zeit hatte sich ihr Aussehen so stark verändert – sie erkannte sich selbst nicht wieder.
Die Häftlinge wurden nach Geschlechtern getrennt in ehemaligen Pferdeställen untergebracht. Die einzelnen Blöcke, wie sie in der Lagersprache hießen, waren völlig überfüllt. In den dreistöckigen Betten mussten auf jeder Etage acht bis zehn Frauen liegen und sich zwei Strohmatten und zwei Decken teilen. Wenn eine Person sich umdrehen wollte, ging das nur, wenn alle anderen sich auch umdrehten. Solche Absprachen wurden noch erschwert durch die Tatsache, dass die dort Inhaftierten aus vielen verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen kamen.
Um vier Uhr morgens wurden die Häftlinge geweckt und bekamen einen »Kaffee« aus Brennnesseln. Um fünf Uhr mussten alle zum Appell antreten. Dann verließen die einzelnen Arbeitskommandos das Lager, um zu ihrem Einsatzort zu marschieren.
Batshevas erste Arbeit war das Pflücken von Brennnesseln für den »Lagerkaffee«. Ihre zweite Arbeit war Kartoffeln schleppen – und dabei passierte eines Tages ein kleines Wunder: Während sie gerade zusammen mit einer anderen Frau einen fünfzig Kilo schweren Kartoffelsack über die Lagerstraße trug, kam ihr ihre Cousine Alunia entgegen. Sie hatten beide nichts über das Schicksal der anderen gewusst und trafen sich nun hier wieder!
Alunia arbeitete im Krankenrevier und sorgte dafür, dass auch Batsheva dorthin abkommandiert wurde. Ihre Aufgabe dort war allerdings schrecklich: Sie musste die Nachttöpfe und Kübel – Toiletten gab es nicht – in die Latrine entleeren und, wenn jemand auf der Station gestorben war, die Leiche nach draußen tragen.
Batsheva arbeitete neun Monate lang im Krankenrevier. Irgendwann steckte sie sich mit Typhus an und bekam hohes Fieber. Sie überlebte nur, weil ihre Cousine für sie sorgte und Lebensmittel für sie sammelte.
Nach ihrer Genesung arbeitete sie im sogenannten Kanada-Kommando. Ihre Aufgabe bestand darin, den Inhalt von Koffern zu sortieren. Diese Koffer hatten Menschen gehört, die gleich nach ihrer Ankunft in Auschwitz ermordet worden waren.
Überall im Lager hörte Batsheva viele verschiedene Sprachen. Und weil sie nicht nur hungrig nach Essen, sondern auch nach Wissen war, bat sie eine Belgierin, ihr Französisch beizubringen. Das Lernen gab ihr Hoffnung auf eine Zukunft. Es war eine Art geistiger Widerstand, etwas, das ihr niemand nehmen konnte. Batsheva lernte intensiv und sprach nach Kriegsende fließend Französisch.
Überhaupt spielten Kultur und Bildung an diesem schrecklichen Ort eine besondere Rolle.
»Ich erinnere mich an einen Kultursonntag. Sonntags arbeiteten wir nicht, denn die Posten mussten doch auch frei haben. Wir haben ein Theaterstück aufgeführt mit Tänzerinnen, Sängerinnen... Eine Frau erzählte aus dem Gedächtnis ein Buch von der ersten bis zur letzten Seite, ohne das Buch vor sich zu haben. Wir waren glücklich über ein bisschen Kultur. Eine Tänzerin aus Belgien hatte sich ein Kostüm aus Lumpen gemacht. Dazu sangen Griechinnen. Ich habe sonst in Auschwitz nie geweint, aber das konnte ich nicht aushalten. Das brachte mich zum Weinen.«
Warum nannten die Häftlinge die Effektenkammer »Kanada«?
»Im Frühling 1944 wurde ein neues Kommando eingerichtet – die Effektenkammer. Wir nannten es Kanada-Kommando, weil Kanada für uns ein Land im Überfluss war und in diesem Kommando gab es von allen Gütern – hauptsächlich Kleidern und Essen – sehr viel. Die Effektenkammer wurde nämlich wegen der vielen Transporte vor allem aus Ungarn und auch aus Łódź gegründet. Meine Aufgabe war nun, die Habseligkeiten der Ankommenden zu sortieren – Pelze, Gold, Brillanten, Wäsche. Diese Habseligkeiten der ermordeten Juden wurden dann nach Deutschland geschickt. In der Effektenkammer habe ich neun Monate gearbeitet. Ich hatte zu essen und auch meine Haare wuchsen wieder. Ich bekam sogar Locken. Es war eine Arbeit im Trockenen, eine der besten Lagerpositionen, die ein Häftling bekommen konnte. Wir konnten oft für uns selbst und andere heimlich Kleidungsstücke und Konserven organisieren. Diese Arbeit war aber sehr, sehr traurig. Die Effektenkammer lag in unmittelbarer Nähe zur Gaskammer und so sahen wir täglich Tausende von Frauen, Männern und Kindern vorbeilaufen, die zum Tod gingen, wir hörten ihre Schreie. In den Kleidungsstücken habe ich Fotos meiner Lehrerinnen gefunden, die nach der Aussiedlung von Łódź nach Auschwitz gekommen waren. Immer, wenn ich ein Kleidungsstück in die Hand nahm, überlegte ich, wer es wohl getragen hatte. Es waren teilweise sehr hübsche, bestickte Sachen, auch mit Spitze. Wenn ein Stück besonders schön war, haben wir Sabotage gemacht und es zerschnitten. Aber Gott behüte, wenn das jemand gesehen hätte.«
Batshevas letzte Aufgabe in der Effektenkammer bestand darin, Koffer zu verbrennen – die Wärter der SS wollten Spuren verwischen. Die Koffer waren Beweise für die vielen Millionen Menschen, die nach Birkenau gebracht worden waren. Glücklicherweise wurde diese Arbeit aus Zeitgründen nicht mehr zu Ende gebracht. Heute zeugen die Gegenstände aus der Effektenkammer für ihre ermordeten Besitzer/-innen.
Batshevas Darstellung ihrer Zeit in diesem Arbeitskommando stammt aus dem deutsch-polnischen Projekt »My life – erzählte Zeitgeschichte«.
Batsheva schrieb nach dem Krieg einen Brief an die Aufseherin Irma Grese
Bei ihrer ersten Arbeit im »Brennnessel-Kommando« musste Batsheva mit bloßen Händen, ohne Handschuhe, Brennnesseln pflücken, aus denen »Kaffee« für die Häftlinge gekocht wurde. Bei dieser schmerzhaften Arbeit wurden die Zwangsarbeiterinnen von einer jungen Aufseherin bewacht: Irma Grese. Diese hatte einen abgerichteten Hund, den sie auf die Häftlinge hetzte, wenn sie ihrer Meinung nach zu langsam arbeiteten. Auch schlug sie die Frauen zur Strafe ins Gesicht.
Irma Grese wurde nach dem Krieg von den britischen Alliierten verhaftet und vor Gericht gestellt. Als Batsheva, mittlerweile in Palästina, davon hörte, wollte sie unbedingt zum Prozess nach Lüneburg fahren, bekam aber kein Visum. Deshalb schrieb sie an die Frau, die sie so gequält hatte, einen Brief und veröffentlichte ihn.
Heute, so sagt sie, würde sie das so nicht mehr schreiben – aber damals sei sie voll Hass und Rachsucht gewesen. Verständlich, war sie doch gerade erst der Qual, die Irma Grese und die anderen Aufseherinnen für sie bedeutet hatten, entkommen.
»Frau Aufseherin Grese,
Sie haben einen Gerichtsprozess und Major Winwood ist Ihr Verteidiger. Ich bin eines Ihrer Opfer und durch ein bisschen Glück eine der wenigen Überlebenden und ich kann einfach nicht verstehen, warum Ihnen, dem ›Terror von Auschwitz‹, der Schutz des Gesetzes in einem solchen Maße garantiert werden sollte. Sie waren verantwortlich für die Zerstörung der Leben unzähliger Menschen, sodass es kaum möglich ist, irgendeine Rechtfertigung für Ihre Taten zu finden, welche Trauer und Folter für Tausende brachten.
Man wird nicht bezweifeln, dass Sie an Befehle gebunden waren, gebunden an die Befehlsgewalt der SS, deren Mitglied Sie waren. Aber es kann nie eine Entschuldigung geben für die neuen Foltermethoden und die Formen der Verfolgung, die Sie einführten, keine Rechtfertigung für die Art, wie Sie ihrem bestialischen Sadismus freien Lauf gelassen haben.
Gerechtigkeit muss geschehen. Wir warten noch auf das Urteil. Sie werden vielleicht einem Erschießungskommando entgegentreten müssen oder am Genick erhängt werden, bis Sie tot sind. Trotzdem werden Ihre Opfer nicht sehen, dass Gerechtigkeit geschehen ist. Nur wenn Sie gezwungen werden, so zu leiden, wie Sie uns dazu gezwungen haben, kann gesagt werden, dass Gerechtigkeit geschehen sein wird.
Wir, Ihre Opfer, wollen Sie nicht sterben sehen, wir wollen vielmehr, dass Sie leben wie wir es auch mussten, mit Schwaden aus schmutzigen, schwarzen Rauch aus den Schornsteinen des Krematoriums ständig vor unseren Augen.
Wir wollen, dass Sie schwere Steine schleppen, barfuß in Lumpen. Wir wollen sehen, wie Sie geschlagen werden, grausam und gnadenlos, wie Sie grausam und gnadenlos geschlagen haben. Wir wollen sehen, wie Sie verhöhnt werden, wie Sie uns verhöhnten und erniedrigten in unserer Verzweiflung. Wir wollen, dass Sie hungrig dahinvegetieren, dass Sie nachts nicht schlafen können, so wie wir es nicht konnten. Wir wollen sehen, wie Ihr blondes Haar geschoren wird, so wie man uns die Köpfe geschoren hat.
Sie, ja auch Sie, müssen gezwungen werden, hinzuschauen während die, die Ihnen nahe stehen, in den Tod geschickt werden. Wir wollen Sie, das ›schöne Mädchen‹, zerfallen sehen zu einem ›Muselweib‹, zu einem Paket Haut und Knochen durch Hunger und Erschöpfung, wie diejenigen unter uns, die man verhöhnt hat und mit diesem Namen rief. Auch Sie sollten zum ›Himmelskommando‹ geschickt werden, wo sie Ihnen die ›Straße zum Himmel‹ zeigen durch die Gaskammern.
Man soll auch Sie lebendig in den Hochofen des Krematoriums schieben, wie Sie es mit so vielen von uns getan haben.
All diese Dinge sind Tausenden von uns angetan worden, Ihren Opfern. Nur wenn sie auch Ihnen direkt angetan werden, wird Gerechtigkeit geschehen sein. Sie ließen uns unter den Qualen der Hölle leiden. Nun sind wir an der Reihe, Sie zu hassen und nach Rache zu verlangen.
›Achtung, Frau Aufseher Grese kommt!‹ Ich werde niemals den Terror vergessen, mit dem dieser Ruf unsere Herzen erschütterte. Ich werde mich immer erinnern, wie Sie in Ihrer SS-Uniform durch das Lager stolzierten, diesen riesigen Hund an Ihrer Seite, den Sie ›nur so zum Spaß‹ auf uns zu hetzen liebten. Ich werde mich immer an Ihre glänzenden und eleganten Schaftstiefel erinnern und an die Art, in der Sie uns damit traten.
Ich war eine von Tausenden. Die Nummer, die sie mir gaben, Nr. 45554, wurde mir in meinen Arm eingebrannt und wird mit mir ins Grab gehen. Dort war ich, einen schmutzigen grauen Fetzen um meinen geschorenen Kopf gewickelt: ich trug die Hosen eines Soldaten der Roten Armee, der zu Tode gefoltert worden war und ein zerrissenes Hemd, auf dem ich meine Nummer trug und den Davidstern. Wenn Sie vorbeikamen stand ich starr und aufmerksam, obwohl meine Füße kaum noch meinen Körper tragen konnten, weil ich schon völlig abgemagert war. Ich trug Holzpantinen, beide für den linken Fuß und viel zu groß. Ich hatte Lumpen um meine Füße gewickelt – und die Lumpen waren zerrissene ›Talessim‹, die Gebetstücher meiner Religion. Die Pantinen zerrissen meine Füße, das zerrissene ›Talessim‹ aber zerriss mein Herz. […]«
Ihre Zeit im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verarbeitete Batsheva in Gedichtform
A – ist die Arbeit. Die machen wir ohne Geld, und
B – die Baracken, aus Holz hergestellt.
C – sind die Capos, euch sehr wohl bekannt, und
D – ist der Draht, hinter den wir verbannt.
E – ist die Elite aus dem Magazin und
F – sind die Faulen, die gibt es darin.
G – ist der Gong, der uns munter macht, und
H – ist der Hauptscharführer, der uns bewacht.
I – ist die Idee, den Menschen zu traktieren, und
J – ist der Jude, das zu realisieren.
K – ist die Klage, die wir im Herzen tragen, und
L – ist das Lager, wo wir zu leben wagen.
M – ist der Mund, den man halten muss, und
N – ist die Nummer, die ist kein Genuss.
O – ist die Ohrfeige, die wir statt Brot bekommen,
und
P – ist die Panik, ins Krematorium zu kommen.
Q – ist die Qual, mit dem Urteil zu leben, und
R – ist die Rache, nach der wir streben.
S – ist die ›Sauna‹, die darf man versäumen,
und auch die Suppe, von der wir träumen.
T – ist das Tor, das zum Lager führt, und
U – ist das Unrecht, das uns passiert.
V – ist das Verbot, trotzdem leben zu wollen, und
W – ist der Wachturm mit der Patrouille.
X – und
Y – die hab’n wir noch nicht getroffen, und
Z – ist die Zukunft, auf die wir stets hoffen.
Ich kann es nur schwer entscheiden
Was mir größeren Schmerz zufügte.
War es die Einprägung der Nummer auf dem Arm
oder war es etwas anderes?
Es scheint mir dennoch,
dass von allem am schwersten
der Verlust des Haares war.
Denn es gab mir ein Gefühl weiblicher Schönheit.
Es verwandelte sich in Zöpfen zur Krone meines Hauptes.
Es war glatt und angenehm zu berühren.
Es war meins.
Und gerade hier schlug eine vernichtende Hand zu
und machte aus mir ein fremdes,
ein anderes
trauriges Wesen,
dem diese Krone fehlte.
Meine Hand fühlte nur einen Dornenschädel.
Ich stand vor einem Fenster,
in dem ich nur eine Gesichtsschablone,
eine fremde Gestalt sah.
Bin ich es?
Wo blieb die Krönung meines Hauptes?
Ich erhob meine Arme.
Durch die Bewegung
erkannte ich das Spiegelbild,
das meins war.
Meine Zöpfe und all die Haare
dienten ihnen zu verschiedenen Zwecken.
Wer konnte sich nur vorstellen und ahnen
dass sie zu Rohstoffen für Matratzen und Teppiche werden?
Dem Abscheren gab man alle möglichen Begründungen
- die Vermeidung von Läusen.
Aber über allem stand ihr Komplott
mich des menschlichen Antlitzes zu berauben.
Das Haar, das mir mit Zwang entrissen
wuchs naturgemäß und wie zum Trotze nach.
Mit ihm war im Herzen ein Traum verborgen:
Vielleicht, vielleicht gibt es ein Morgen.
Als die sowjetischen Truppen immer näher heranrückten, begann die SS, das Lager Auschwitz zu räumen. Das war im Januar 1945, es war tiefster Winter. Die Häftlinge wurden auf sogenannte Todesmärsche getrieben: auf diesen Märschen mussten sie tagelang zu Fuß in Richtung Westen laufen. Obwohl sie von der KZ-Haft schon völlig entkräftet waren, erhielten die Menschen weder angemessene Kleidung noch ausreichend Nahrung für diesen Weg. Wer nicht mehr weiterkonnte, wurde kurzerhand erschossen und am Wegesrand liegen gelassen.
Die mittlerweile 19-jährige Batsheva hatte aus der Effektenkammer Skischuhe mitgenommen, die bei diesen Bedingungen, bei Kälte und Schnee, Gold wert waren. Drei Tage und drei Nächte musste sie laufen, bis ihre Kolonne in Löslau ankam. Dort mussten alle in offene Vieh- und Kohlewaggons steigen, die sie in das KZ Ravensbrück bei Berlin brachten.
Das Lager war schon bei ihrer Ankunft hoffnungslos überfüllt. Weil in den Baracken kein Platz mehr war, wurden Batsheva und ihre Mitgefangenen in einem großen Zelt untergebracht, natürlich ohne Heizung. Auch dort war es furchtbar eng. Außerdem gab es kaum etwas zu essen.
Im KZ Ravensbrück waren vor allem Frauen inhaftiert
Im Jahr 1939 wurde in der Nähe der Stadt Fürstenberg bei Berlin ein Konzentrationslager für Frauen errichtet: Ravensbrück. Es war das größte seiner Art im Deutschen Reich: Bis 1945 wurden dort 132.000 Frauen und auch einige Kleinkinder inhaftiert. Ab 1941 gab es direkt daneben zusätzlich ein Männerlager mit insgesamt etwa 20.000 Häftlingen.
Wegen der steigenden Häftlingszahlen wurde das Lager in der Zeit seines Bestehens mehrfach erweitert. Ab Herbst 1944 wurde für die Unterbringung auch ein Zelt aufgestellt. Darin musste auch Batsheva schlafen.
Die inhaftierten Frauen mussten Zwangsarbeit leisten. Auf dem Gelände des Konzentrationslagers entstanden Werkstätten, in denen sie nähen, sticken oder Stoffe weben mussten. Die Firma Siemens & Halske errichtete im Sommer 1942 zudem zwanzig Werkhallen für die Kriegsproduktion direkt neben dem Lager, um hier Zwangsarbeiterinnen zu beschäftigen. Damit die Arbeitswege für die Häftlinge nicht so weit waren, wurden bis Kriegsende vierzig Außenlager errichtet, denn viele Firmen wollten von diesen billigen Arbeitskräften profitieren.
Die Haftbedingungen in dem völlig überfüllten Lager kosteten viele Gefangene das Leben: Es gab zu wenig zu essen, keine Hygiene und kaum medizinische Versorgung. Außerdem wurden medizinische Experimente durchgeführt und im Herbst 1944 eine Gaskammer gebaut, in der mindestens 5.000 Häftlinge ermordet wurden. Die genaue Anzahl der Opfer dieses KZ ist nicht bekannt. Geschätzt wird, dass insgesamt 28.000 Frauen und Männer im KZ Ravensbrück, seinen Nebenlagern und auf den Todesmärschen von April 1945 ums Leben kamen.
Die Häftlinge stammten aus über vierzig Ländern. Seit 1959 befindet sich auf dem Gelände eine Gedenkstätte.
Nach wenigen Wochen wurden viele Häftlinge, darunter Batsheva und sieben junge Frauen, mit denen sie sich schon in Auschwitz angefreundet hatte, noch einmal in ein anderes Lager verlegt: In das KZ Malchow in Mecklenburg. Dort mussten sie für die Rüstungsindustrie arbeiten. Batsheva und ihre Freundinnen kamen auf die Idee, aus Stoffresten Fußmatten zu flechten und verdienten sich mit diesem »Bastelkommando« eine extra Portion Suppe.
Auch das Wachpersonal kannte Batsheva zum Teil schon aus Auschwitz. Kurz vor Kriegsende, als auch dieses Lager geräumt werden sollte, befahlen die SS-Männer den Gefangenen, ihnen die Abzeichen von den Uniformen abzutrennen. Sie wollten vor den Alliierten ihre Identität verschleiern.
Batsheva schrieb über ihre Zeit im KZ Malchow ein Gedicht: »Suppe zum Haarewaschen«
Als sie erneut auf einen Todesmarsch geschickt wurden, setzten sich Batsheva und ihre Freundinnen in einem Moment des Durcheinanders von der Gruppe ab. Die Frauen befreiten sich also quasi selbst und das war hochgefährlich. Aber es gelang: Drei Wochen lang schlug sich die kleine Gruppe Richtung Westen durch. Am 8. Mai 1945 unterzeichnete die deutsche Armee endlich die bedingungslose Kapitulation: Der Krieg war in Europa zu Ende!
Endlich war der Krieg zu Ende! Doch wie sollte es nun weitergehen? Batsheva war seit ihrer Flucht mit ihren sieben Freundinnen aus Auschwitz unterwegs. Einige von ihnen wollten so schnell wie möglich zurück nach Polen, um nach ihren Verwandten zu suchen.
Batsheva zog es nicht zurück in die alte Heimat. Sie hatte genug vom Antisemitismus, der ja nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen sehr verbreitet war. Sie wollte in Palästina leben, unter Juden und Jüdinnen. Zu fünft gingen die jungen Frauen weiter nach Westen bis nach Belgien. Von dort aus wollten sie ihre Auswanderung vorbereiten. Batsheva, die ja in Auschwitz Französisch gelernt hatte, übernahm alle Übersetzungsaufgaben.
Zuerst aber musste sie sich körperlich erholen. Batsheva wog nur noch vierzig Kilogramm und war schwer an Tuberkulose erkrankt. Für einige Zeit kam sie in ein Sanatorium bei Brüssel. Danach nahm eine jüdische Familie sie und ihre Freundin Yolanta bei sich auf. Die beiden konnten sich später dank der jüdisch-amerikanischen Hilfsorganisation Jewish Joint Distribution Committee eine kleine Wohnung mieten.
In Brüssel begegnete Batsheva im Juni 1945 einem jungen jüdischen Wiener, der als Soldat in der britischen Armee gekämpft hatte. Sein Name war Paul Kornweiz. Beide verliebten sich ineinander. Paul half Batsheva und Yolanta, nach Palästina auszureisen. Am 8. September 1945, ihrem zwanzigsten Geburtstag, kam Batsheva endlich dort an!
Sie musste zunächst in ein Aufnahmelager für Emigrant/-innen ziehen. Doch ihr Bruder Hersz, der schon vor Kriegsausbruch nach Palästina gegangen war, las ihren Namen in einer Zeitung und holte sie zu sich. Was für ein Wiedersehen nach über sechs Jahren! Von ihren neun Geschwistern hatten nur noch zwei weitere Brüder überlebt.
Batsheva und Paul, der ebenfalls nach Palästina auswanderte, heirateten im Januar 1946. Batsheva legte ihren Vornamen Izabela offiziell ab und das Paar nannte sich mit Nachnamen Dagan, das ist das hebräische Wort für Weizen. »Ich wollte einen Kämpfer heiraten, keinen Überlebenden. Ich wollte nicht, dass wir in der Zukunft zu zweit immer in der Vergangenheit graben«, sagte Batsheva später.
Wie ging Batshevas Leben in Israel weiter?
Hinter Batsheva lag eine furchtbare Zeit: Sie hatte ihre Eltern und mehrere Geschwister verloren, Hunger und Krankheiten überlebt, schlimmste Ängste ausgestanden und gesehen, zu welchen Verbrechen Menschen fähig sind. Anders als andere Überlebende sprach Batsheva viel über das, was ihr geschehen war – sie hatte das Gefühl, so die Vergangenheit los zu werden. Ihre neuen Bekannten und Nachbar/-innen, die durch sie aus erster Hand von der Verfolgung in Europa und von den Bedingungen in den Lagern hörten, konnten diese Verbrechen nur schwer begreifen.
In Palästina wollte Batsheva wieder zu leben beginnen. Doch um ihre Ziele erreichen zu können, musste sie zuerst einiges nachholen: Sie hatte seit sechs Jahren keine richtige Schule mehr besucht und mit ihren zwanzig Jahren noch keinen Abschluss.
Sie steckte deshalb all ihre Energie ins Lernen: Zuerst lernte sie Hebräisch, dann machte sie ihr Abitur und schließlich studierte sie: Batsheva wollte Psychologin werden. Außerdem bekam sie zwei Söhne, die sie nach dem frühen Tod ihres Mannes alleine großziehen musste. Das war eine schwierige Zeit. Doch Batsheva setze sich durch und machte richtig Karriere: Sie wurde Kinderpsychologin und unterrichtete sogar in den USA. Yolanta blieb lebenslang ihre Freundin und Nachbarin in Holon bei Tel Aviv.
Ihre Erlebnisse während der Verfolgung versuchte Batsheva in Gedichtform zu verarbeiten. Und sie schrieb Kinderbücher über dieses Thema: »Wenn Sterne sprechen könnten« und »Chika, die Hündin im Ghetto«. Beide Bücher sind auch auf Deutsch erschienen – aus »Chika« ist sogar ein Animationsfilm entstanden.
Batsheva spricht auch als Zeitzeugin über ihre Erlebnisse – auch in Deutschland