-
12. Januar 1921Geburt
-
1926Jungpioniere
-
Juli 1940Widerstand
-
28. Juli 1941Verhaftung
-
3. Dezember 1942Hinrichtung
Hanno ging auf die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln - eine der fortschrittlichsten Schulen der Stadt. Hier wurden Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet. Auch die Prügelstrafe wurde abgelehnt. Die Schüler und Schülerinnen genossen für damalige Verhältnisse viel Freiraum.
Das war 1928. In dieser Zeit schloss sich Hanno auch einer Jugendgruppe an, den Jungpionieren. Das war eine kommunistische Gruppe.
Hanno und die anderen Jungpioniere sammelten mit großem Eifer Spenden, Bücher und Möbel: Ein eigener Clubraum war ihr Traum. Im November 1931 schließlich hatten sie es geschafft. Stolz bezogen sie im Hinterhof eines ehemaligen Fabrikgebäudes in der Reuterstraße 43/44 einen großen Raum, in dem sie sich von nun an trafen.
Der zehnjährige Hanno konnte dort spielen, lernte aber auch etwas über die Geschichte der Arbeiterbewegung. Bald konnte er eine ganze Reihe Arbeiterlieder singen. Wenn ein Film vorgeführt wurde, war das ein besonders großes Ereignis, da damals noch niemand einen Fernseher zuhause hatte und ein Kinobesuch teuer war.
Hanno und seine Genoss/-innen halfen bei Wahlkämpfen und Kundgebungen und sie trugen die zweitgrößte Zeitschrift der Republik, die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ) aus.
Im April 1933 – kurz nach der Machtübertragung an Adolf Hitler und die NSDAP – musste Hanno die Rütli-Schule verlassen. Das hatte aber nichts mit seiner politischen Einstellung zu tun: Hanno war nämlich umgezogen und wohnte gar nicht mehr im Einzugsgebiet der Schule. Die Nationalsozialisten wollten die Rütli-Schule aber sowieso auflösen. Jungen und Mädchen sollten wieder getrennt voneinander unterrichtet werden und die Prügelstrafe wurde wieder vielfach eingeführt.
Polizisten sprengten die Demos am 1. Mai
Hanno erlebte mit acht Jahren die Kämpfe am 1. Mai 1929. An diesem Tag der Arbeit fanden, wie immer, Demonstrationen statt. Doch dieses Mal ließ der Berliner Polizeipräsident Zörgiebel brutal gegen die Demonstrierenden vorgehen. Es gab viele Tote und Schwerverletzte in den Arbeiterbezirken Neukölln und Wedding.
Direkt nach der blutigen Niederschlagung der Demonstration im Jahr 1929 verfassten der Dichter Erich Weinert und der Komponist Hanns Eisler das Lied »Roter Wedding«, das um die Welt gehen sollte. Arbeiter und Arbeiterinnen sangen es in verschiedenen Abwandlungen, um gegen Ausbeutung und gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit zu protestieren. Am 2. Mai rief die KPD als Protest gegen die Polizeigewalt zu Massenstreiks auf. Daraufhin legten tatsächlich etwa 25.000 Arbeiter/-innen die Arbeit nieder. Die Polizei ging mit Gewalt, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen dagegen vor.
Hier kannst Du Dir das Lied »Roter Wedding« anhören: https://www.youtube.com/watch?v=GV8eCH-Ck-A.
Roter Wedding, grüßt Euch, Genossen,
Haltet die Fäuste bereit.
Haltet die roten Reihen geschlossen,
Dann ist der Tag nicht mehr weit.
Schon erglüht die rote Sonne flammend am Horizont.
Kämpft, Genossen, Sturmkolonne.
Rot-Front! Rot-Front!
Links, links, links, links!
Die Trommeln werden gerührt,
links, links, links, links!
Der rote Wedding marschiert!
Wir tragen die Wahrheit von Haus zu Haus
Und jagen die Lüge zum Schornstein hinaus,
Wie uns die Genossen gelehrt.
Wir nähren den Hass und wir schüren die Glut,
Wir heizen die Herzen mit Kraft und Mut
Bis der Prolet uns gehört.
Roter Wedding, grüßt Euch, Genossen,
Haltet die Fäuste bereit.
Haltet die roten Reihen geschlossen,
Dann ist der Tag nicht mehr weit.
Schon erglüht die rote Sonne flammend am Horizont.
Kämpft, Genossen, Sturmkolonne.
Rot-Front! Rot-Front!
Links, links, links, links,
Ein Lump wer kapituliert.
Links, links, links, links!
Der rote Wedding marschiert!
Sie schlagen uns die Genossen tot,
Doch der Wedding lebt und Berlin bleibt rot.
Es wächst unser heimliches Heer
Und holt das Volk seine Freiheit zurück,
Dann spürt der Faschist unsere Faust im Genick.
Dann entrissen wir ihm das Gewehr.
Quelle: www.justsomelyrics.com
Was in dem hier abgebildeten Auszug aus dem Gerichtsurteil steht, überrascht: Wie kann es sein, dass Hanno Mitglied der Hitlerjugend (HJ) wurde, wo Nationalsozialismus und Kommunismus doch politisch verfeindet waren?
Offenbar trat Hanno in die HJ ein, weil er auf der Internatsschule Scharfenberg in Berlin-Tegel seinen Schulabschluss schaffen wollte. Dort war die Mitgliedschaft in der HJ jedoch Pflicht. Damit sich seine Chancen erhöhten, in der Schule angenommen zu werden, trat Hanno am 18. August 1933 der Hitlerjugend bei.
Als er schließlich wegen eines Aufsatzes von der Schule Scharfenberg flog, musste er sich ohne Schulabschluss eine andere Ausbildungsmöglichkeit suchen. Hanno fand eine Lehrstelle als Bäcker. Wenig später trat er aus der Hitlerjugend aus. Das war damals noch möglich, da es erst ab 1939 einen gesetzlichen Zwang gab, dieser Organisation anzugehören. Im Gerichtsurteil wird wohl zu Recht nahegelegt, dass Hanno nur widerwillig Mitglied der HJ war.
Hannos neue Schule lag mitten auf einer Insel
Beide Schulen, die Hanno besuchte, galten als fortschrittliche Schulen, an denen die Lehrer/-innen ganz neue Lernmethoden anwandten. Diese sollten den Schüler/-innen ermöglichen, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen selbstständig und kreativ zu entfalten. Denn damals war es eigentlich üblich, nur auswendig zu lernen und unter ständiger Androhung von Strafe und schlechten Noten immer gehorchen zu müssen.
An die Internatsschule Scharfenberg war ein landwirtschaftlicher Betrieb angeschlossen, in dem die Jugendlichen mitarbeiteten. Das war wichtig, denn damals mussten die Eltern Schulgeld zahlen, damit ihre Kinder lernen durften. Ärmere Familien konnten sich das oft nicht leisten. Durch die Arbeit im Betrieb verringerte sich das Schulgeld.
Die Jugendlichen wurden an allen Arbeiten beteiligt, lernten dadurch viele praktische Dinge und durften außerdem mitbestimmen, was gemacht wurde und wer Lob oder Kritik verdient hatte.
Dies änderte sich radikal mit dem Wahlsieg der Nationalsozialisten.
Hannos Schulaufsatz enthielt Sprengstoff
Eigentlich hätte Hanno in der Scharfenberg-Schule einen Schulaufsatz schreiben sollen, in dem er die Regierung der Nationalsozialisten und ihre guten Taten für das deutsche »Volk« lobte. Der Lehrer stellte als Aufsatzthema: »Die Arbeitslosigkeit in der Systemzeit und Hitlers Arbeitsbeschaffungsprogramm«.
Doch statt – wie es der Lehrer von ihm erwartete – Adolf Hitler zu loben, äußerte sich Hanno ziemlich kritisch über die nach wie vor schlechte Situation von Arbeitslosen. Er erläuterte, so erinnerte sich seine Mutter später, dass die Arbeitslosigkeit nur kurzzeitig beseitigt werde, indem alle Arbeiter/-innen für die Kriegsvorbereitung eingesetzt würden. Am Ende jedoch werde alles im Krieg und in unermesslichem Leid enden.
Das war dem Lehrer ein willkommener Vorwand, um Hanno, dessen politische Einstellung ihm nicht passte, loszuwerden.
Auf einem Klassentreffen traf Hanno seine alten Freund/-innen wieder, mit denen er auf die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln gegangen war: Emmerich, Bernhard und Dagmar. Dagmar brachte auch ihren Freund Wolfgang mit.
Das Wiedersehen mit seinen ehemaligen Klassenkamerad/-innen brachte den 19-jährigen Hanno auf eine Idee: Ob sie wohl bereit wären, sich illegal zu treffen und so richtig gegen die Nazis aktiv zu werden?
Nicht alle sagten zu. Am Ende traf sich eine kleine Gruppe regelmäßig.
»Hanno hat uns zu sich eingeladen, und das war so 'ne Art Tee-Nachmittag. […] und da hat er mit uns über das gesprochen, was ihn bewegte, und vor allem, dass wir Stellung beziehen sollten gegen die Regierung.«
Sie diskutierten über ihre politische Meinung. Hanno, der viel gelesen hatte und viel wusste, machte sich dabei nicht immer beliebt, da er sehr halsstarrig, ja sogar aufbrausend sein konnte. So manches Mal ging er den anderen auf den Geist mit seinem Gerede über ein besseres politisches System.
Da aber alle etwas unternehmen wollten gegen die Nationalsozialisten, rauften sie sich immer wieder zusammen. Sie beschafften sich einen einfachen, handbetriebenen Kopierapparat und legten los: Sie schrieben und druckten Flugblätter. Den Apparat hatten sie dafür in der Laube von Hannos Eltern versteckt. Das war zwar im Sommer ein ideales Versteck, aber im Winter konnten sie dort nicht bleiben. Zu groß war die Gefahr aufzufallen, wo doch kaum jemand mehr in die Gartenkolonie fuhr. Was, wenn sie entdeckt würden und so auch noch Hannos Eltern mit hineingezogen würden?
Es wurde Dezember 1940, bis es Hanno gelang, ein halbmöbliertes Zimmer anzumieten. Die Produktion des sechsten Flugblattes konnte in Angriff genommen werden.
Hier erfährst Du mehr über Hannos Freund/-innen
Emmerich, Bernhard, Dagmar, Wolfgang, Kurt, Elisabeth und Alfred gehörten zu Hannos Gruppe.
Was wollten die Kommunist/-innen erreichen?
Hanno und seine Genoss/-innen diskutierten über ihre politischen Ziele. Gemeinsam lasen sie das »Manifest der Kommunistischen Partei«, geschrieben von Karl Marx und Friedrich Engels. Darin war die später als Marxismus bezeichnete Weltanschauung erklärt.
Im Wesentlichen zeigten die Autoren die Folgen der industriellen Revolution für die immer weiter auseinander klaffenden sozialen Schichten (genannt Klassen) auf. Wirtschaft und Gesellschaft hätten sich zum Nachteil der Arbeiterklasse verändert. Arbeiter/-innen würden in den Fabriken von den Kapitalist/-innen, also zum Beispiel von den Fabrikbesitzer/-innen, ausgebeutet. Die Demokratie, so führten die Autoren aus, müsse erkämpft und das Privateigentum, das nur in den Händen weniger liege, umverteilt werden.
Menschen aus aller Welt waren von der Idee begeistert. In Russland hatte sich die Arbeiterpartei in der Oktoberrevolution 1917 sogar die Macht gesichert.
Nachdem Josef Stalin 1929 zum uneingeschränkten Herrscher der Sowjetunion geworden war, wurden politische Gegner/-innen allerdings verhaftet und sogar ermordet. Ob Hanno und seine Freund/-innen auch über Stalins Verbrechen diskutierten, wissen wir heute nicht. Wahrscheinlich setzten sie aber große Hoffnungen für den Kampf gegen den Nationalsozialismus in die Sowjetunion.
Als der Krieg ausbrach, tauchten in Berlin hunderte von Zetteln auf, auf denen Sätze gegen den Krieg standen. Sie stammten von Hanno und seiner Verbündeten Elisabeth.
Die meisten Deutschen waren von den anfänglichen schnellen Siegen der Wehrmacht beeindruckt. Hanno und Elisabeth jedoch klebten Protestzettel auf Litfasssäulen, an Mauern, an Schaufenster und auf die Plakate der NSDAP. Auch in Hausflure und Briefkästen legten sie Zettel, die man auch »Spuckis« nennt. Wie Briefmarken kann man sie an einer Seite anlecken und dann aufkleben.
Im Juni 1940 herrschte im Deutschen Reich ein regelrechter Siegestaumel: Die deutsche Wehrmacht hatte Frankreich erobert. Angesichts dieser Jubelstimmung verteilten Hanno und seine Gruppe eine ganze Serie von Flugschriften, die sie »Das Freie Wort« nannten.
»Das Freie Wort« erschien sechs Monate lang in einer Auflage von 200 bis 300 Stück. Jedes Papier wurde mit der Schreibmaschine getippt und von Hand vervielfältigt.
Kurz vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurden viele junge Männer zur Wehrmacht eingezogen. So traf es im April 1941 auch Hanno, und er sah keine legale Möglichkeit, dem zu entkommen. Wenigstens stand der Kopierapparat nicht mehr in der Laube seiner Eltern. Aber sie hatten schon 2.300 Flugblätter hergestellt und konnten jetzt doch nicht einfach aufgeben!
So wehrte sich Hanno gegen Hitlers Regime
In der Schrift riefen die Widerstandskämpfer/-innen teilweise in gereimter Form zu Widerstand und Sabotage gegen den Nationalsozialismus auf. Sie forderten Frieden und Meinungsfreiheit und prangerten die herrschende Gesellschaft an. Aus ihrer Sicht hatten sie es mit einer Plutokratie, der Herrschaft des Geldes zu tun, bei der die Bevölkerung letztlich nur ausgebeutet werde, damit sich Wenige bereichern könnten.
Sie riefen die Bevölkerung dazu auf, den Eroberungs- und Mordfeldzug der deutschen Truppen zu stoppen, bevor die Welt vernichtet sei.
Anders als die nationalsozialistischen Zeitungen und Rundfunksender, schrieb die Gruppe um Hanno in den folgenden Flugblättern immer wieder die Wahrheit über die Kriegslage und forderten die Arbeiter/-innen in der Kriegsproduktion zur Sabotage auf.
»Das Freie Wort« war mit »Deutsche Friedensfront« unterzeichnet. Die Gestapo fand die Urheber/-innen der Flugblätter zunächst nicht.
Mit so einem Apparat druckten Hanno und seine Freund/-innen die Flugblätter
Hier ist ein sogenannter Hektograph zu sehen, aus einer Zeit, als an Kopierer oder Computer noch gar nicht zu denken war. Mit einer Schreibmaschine wurde auf einem speziellen Papier, einer sogenannten Matrize, das Flugblatt abgetippt. Diese Matrize wurde meist auf eine kurbelbetriebene Walze aufgespannt. Durch Befeuchten mit einem farblösenden Mittel (zum Beispiel Alkohol) ließen sich Kopien herstellen, indem das unbedruckte Papier die Farbe der Matrize aufnahm.
Auch auf Naziplakate klebten sie ihre Zettel
Auf dem NSDAP-Plakat wird ein Parteigenosse (»Pg.«) Berndt angekündigt, der in der Berliner Mozartschule einen Vortrag halten sollte. In der Mitte des Plakats sieht man einen kleinen Klebezettel, auf dem ein Spruch gegen den Krieg oder gegen Hitler steht. Solche »Spuckis« verteilten Hanno und Elisabeth überall in der Stadt.
Wie erfuhr die Gestapo von den Aktivitäten der Gruppe?
Hanno und seiner Gruppe gelang es, insgesamt 2.300 Flugblätter zu drucken. Die Polizei suchte lange und immer intensiver nach den Urheber/-innen der Flugblätter. Bereits am 8./10. Januar 1941 ist aus einem der ständig erfolgenden, streng vertraulichen Polizeiberichte zu erfahren, dass schon 107 Exemplare von Flugblättern registriert worden waren. Sie tauchten in verschiedenen Stadtbezirken auf. Entweder konnten sie in Hausfluren abgefangen werden oder nationalsozialistische Nachbar/-innen gaben sie bei der Polizei ab.
Hanno wurde, wie viele junge Männer, im Frühling 1941 von der Wehrmacht eingezogen. Die Wehrmacht sollte, nach dem Willen der nationalsozialistischen Führung und trotz eines Nichtangriffspaktes, die Sowjetunion überfallen. Hanno war gezwungen, in einer Kaserne auf seinen Einsatz als Soldat an der Ostfront zu warten.
Plötzlich, am 28. Juli 1941, erschien die Berliner Gestapo. Sie brachten ihn in ein Militär-Strafgefängnis nach Berlin. In den kommenden Tagen folgte die Verhaftung der anderen Mitglieder seiner Widerstandsgruppe.
»Ich kam am Abend des 6. August nach Hause. Meine Mutter erzählte mir, dass Wolfgang verhaftet sei, ahnte aber nichts weiter. Am nächsten Morgen erschien die Gestapo bei uns und nahm mich mit.«
Wie hatte die Polizei von der Gruppe erfahren? Hanno hatte im Jahr zuvor Bekanntschaft mit einem wichtigen Widerstandkämpfer gemacht: Herbert Bochow, ein höherer Funktionär in der Kommunistischen Partei. Nach anfänglichem Zögern befolgten Hanno und seine Freund/-innen dessen Rat, die immer gefährlicher werdenden Flugblattaktionen einzustellen. Ausgerechnet dieser Mann war nun von der Gestapo aufgegriffen worden.
Später wurde bekannt, wie schwer die Gestapobeamten Herbert Bochow folterten. Auch quälte ihn der Verdacht, selber von engen Genoss/-innen verraten worden zu sein – ein Verdacht, den vielleicht sogar die Gestapo absichtlich in ihm geweckt hatte, um ihn psychisch zu zermürben. Nach einem erfolglosen Versuch, sich in der Zelle das Leben zu nehmen, gab Herbert Bochow schließlich viele Namen preis, darunter auch die Namen der Mitglieder der Rütli-Gruppe. Sie wurden daraufhin als »gefährliche Terrorist/-innen« verhaftet.
Was genau warf der NS-Staat Hanno und seiner Gruppe vor?
»Hochverrat« lautete das Stichwort: Die juristischen Vertreter des NS-Regimes beschuldigten die Gruppe um Hanno, dass sie den Staat unterwandern würde. Konkret wurde den Widerstandskämpfer/-innen vorgeworfen, durch ihre Sprüche die Bevölkerung aufhetzen und zu einem Aufstand gegen die nationalsozialistische Regierung anstiften zu wollen. Gerade im Krieg befürchtete man, dass die Moral der Soldaten und die Durchhaltekraft gestört werden könnte, weswegen Hanno und seinen Freund/-innen auch der Vorwurf der »Wehrkraftzersetzung« gemacht wurde. Solch ein »Verrat« wurde oft mit der Todesstrafe geahndet.
Schaue Dir hier das Urteil gegen Hanno und seine Genoss/-innen an
»Die Angeklagten Günther, Pander, Sikorski, Schaper und Schmidt werden wegen Vorbereitung zum Hochverrat, von Günther begangen in Tateinheit mit landesverräterischer Feindbegünstigung, zum Tode und zum dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. […] Die beschlagnahmten zwei Abziehapparate (Wert 25 RM) und das Rundfunkgerät des Angeklagten Günther (Wert 100 RM) werden eingezogen.«
Fast alle Angeklagten wurden zum Tode verurteilt. Nur Dagmar Petersen kam mit sieben Jahren Zuchthaus davon. Hanno Günther, Wolfgang Pander und Bernhard Sikorski wurden Anfang Dezember 1942 in Berlin-Plötzensee ermordet. Emmerich Schaper starb bereits vor seiner Hinrichtung an den Misshandlungen, die ihm die Beamten der Gestapo während der Haft zugefügt hatten.
Der »Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte« ging mit solch einem Urteil immer einher. Das bedeutet letztlich, dass den Verurteilten Respekt und Ehre entzogen wurde, sie keine Rechte und keine im Leben erworbene Anerkennung, zum Beispiel Doktortitel oder Siegermedaillen, behalten durften. Für die Angehörigen blieb so oft ein Gefühl der Schande zurück.
Anfang August 1941 gelang es der Gestapo, Hannos gesamten Freundeskreis zu verhaften. Sie wurden brutal verhört. Immer wieder hagelte es Drohungen und Schläge, um die Verbindungen zu anderen kommunistischen Gruppen aufzudecken.
Am 9. Oktober 1942 fand der Prozess gegen Hanno und seine Genoss/-innen statt.
Der Vorwurf lautete »Hochverrat«, genauer gesagt: »Wehrkraftzersetzung«.
Als »Wehrkraftzersetzung« wurden von den Nazis alle Äußerungen gewertet, die sich gegen den Krieg richteten und den deutschen Sieg in Frage stellten. Als Höchststrafe wurde dafür die Todesstrafe verhängt. Bis auf Dagmar, die wegen Beihilfe zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, erhielten alle Mitglieder der Rütli-Widerstandsgruppe die Todesstrafe.
Mehrere Wochen warteten Hanno und die anderen Verurteilten im Gefängnis auf die Vollstreckung des Urteils. Sie und ihre Familien schrieben verzweifelte Gnadengesuche.
Angeblich kam es nach der Urteilsverkündung in Berlin sogar zu regelrechten Straßenschlachten zwischen Jugendlichen und dem Streifendienst der Hitlerjugend. Genaueres über diesen Protest ist nicht bekannt. Doch alle Hoffnung auf Begnadigung war vergeblich.
Einige Wochen später wurden Hanno und seine Freunde mit dem Fallbeil enthauptet. Hanno war zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt. Seine Freunde Bernhard und Wolfgang waren 20 und 24 Jahre. Emmerich erlebte die Urteilsvollstreckung nicht. Er starb bereits an den Folgen der Folter im Alter von 22 Jahren.
Überall in Berlin hingen knallrote Plakate mit der Bekanntmachung, dass Hanno hingerichtet worden war. Die kritischen Menschen in der Bevölkerung sollten damit eingeschüchtert und abgeschreckt werden.
Hier kannst du den letzten Brief von Hanno an seine Mutter lesen
»Liebe Mutter!
Wenn Du diesen Brief erhältst, lebe ich nicht mehr auf dieser Welt. Ich hoffe und wünsche von ganzem Herzen, dass Du diese Nachricht ruhig und gefasst aufnimmst, wie ich heute Mittag die Mitteilung von meiner heute Abend zu vollziehenden Hinrichtung entgegennahm. Sei überzeugt, dass ich bis zum letzten Augenblick mich in der Gewalt haben werde, und ich erwarte fest, dass auch Du nicht und niemals verzweifeln wirst, was auch kommen mag.Du schriebst einmal, wir zwei bilden eigentlich eine Einheit, und dies ist auch mein unverbrüchlicher Glaube: Diese Verbundenheit kann nun auf Ewigkeit nicht mehr getrennt werden. Bei unverdorbenen Völkern herrscht der schöne Glaube, dass man nach seinem Tode in den Schoß der Mutter zurückkehrt; dies habe ich – wenn auch im übertragenen Sinne – zu meinem Glauben gemacht. Denn sieh, wenn es eine überirdische Macht gibt, so sind wir doch alle nur Ausdrucksformen Gottes. Mit unserem Tode vereinigen wir uns wieder mit dem Ursprung, der eine früher, der andere später. So sind auch wir von nun ab wieder untrennbar vereint. Wir haben alle hier auf Erden eine Aufgabe zu erfüllen, und meine Aufgabe ist nun erfüllt. Ich komme zu Dir zurück.
Dir aber wünsche ich, dass Dir noch in einem recht langen Leben viel Gutes und Schönes beschert werde, dass Du Dir Deinen Lebensmut und Deine Lebensfreude nie rauben lässt, und dass Du dereinst genauso ruhig und zuversichtlich den unvermeidbaren Gestaltwechsel vollbringst, wie ich ihn zu vollbringen hoffe.
Herzlichste Grüße an Dich, Paul und alle Verwandte und Bekannte, besonders auch an Daggi, auf immer von
Eurem Hanno«
In diesem Raum erlebte Hanno die letzten Minuten seines Lebens.
Die Nationalsozialisten machten in den Jahren ihrer Herrschaft hemmungslos Gebrauch von der Todesstrafe. Zwischen 1933 und 1945 wurden allein im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee fast 3.000 Menschen nach Urteilen der NS-Justiz hingerichtet, darunter auch Hanno und seine Freunde.
Ziele des Strafvollzugs waren bei den Nationalsozialisten Vergeltung, Abschreckung und – so nannten sie es – die »Ausmerzung« von Menschen, die sie als »minderwertig« ansahen.
Der Einzige aus der Rütli-Gruppe, der zunächst entkam, war Kurt. Bernhard und Hanno gelang es, vor Gericht seine Beteiligung an der Rütli-Gruppe glaubhaft abzustreiten. Doch statt freigelassen zu werden, wurde Kurt in das Konzentrationslager Mauthausen verschleppt. Schließlich entdeckte die Gestapo doch noch seine wichtige Rolle in der Rütli-Gruppe. Der inzwischen dreißigjährige Kurt wurde am 23. Juli 1943 zum Tode verurteilt und einige Wochen später auch in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Eine Gedenktafel im Kreuzberger Rathaus erinnert heute an seinen Mut und sein Leiden.
Für die Richter am Volksgerichtshof standen die Urteile meist von vorneherein fest
Von den Richtern des Volksgerichtshofes, welche die Urteile über die Mitglieder der Rütli-Gruppe fällten, gibt es bislang kein Foto. Sie waren aber mit Sicherheit ähnlich stark vom Nationalsozialismus überzeugt wie ihre auf dem Foto abgebildeten Kollegen. Aber ihre Namen sind bekannt: Volksgerichtsrat Robert Hartmann, hatte den Vorsitz inne und war bereits seit dem 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP. Daneben waren der Kammergerichtsrat Georg Ernst Discher, der SS-Gruppenführer Leo Petri, der Oberbereichsleiter Fischer, der Staatsanwalt Dr. Bruchhaus und der Justizassistent Becker beteiligt.
Alle Angehörigen des Volksgerichtshofs gingen nach dem Krieg straffrei aus. Der Bundesgerichtshof der BRD billigte ihnen 1956 das sogenannte Richterprivileg zu, wonach keiner wegen der absichtlichen falschen Anwendung des Rechts (genannt Rechtsbeugung) oder anderer Taten verurteilt werden konnte, wenn er sich an damals geltende Gesetze gehalten oder eben das Unrecht seines Tuns nicht erkannt hatte.
Bis auf eine Ausnahme wurde keiner der etwa 570 Richter und Staatsanwälte jemals zur Rechenschaft gezogen, kein einziger wurde verurteilt. Viele konnten sogar nach dem Krieg in der BRD weiterhin ihren Beruf als Richter ausüben.
Es sollte noch bis 1998 dauern, bis endlich per Gesetz die Urteile des Volksgerichtshofs und der Sondergerichte für ungültig erklärt und aufgehoben wurden.
Hannos ehemalige Schule erinnert heute so an ihn
Die Schule auf der Insel Scharfenberg, die Hanno von 1934 bis 1935 besuchte, gibt es auch heute noch. An einem der Gebäude ist eine Gedenktafel angebracht: für Hanno Günther und für Hans Coppi, der ebenfalls Schüler auf Scharfenberg war und als Widerstandskämpfer hingerichtet wurde.