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17. August 1927Geburt
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9. November 1938Nechamas Schule steht in Flammen
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1945Abschied von den Eltern
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1990Neuanfang in Israel
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16. November 2014Nechama erhält das Bundesverdienstkreuz
Nechama Drober wird 1927 in Königsberg, der Hauptstadt von Ostpreußen, geboren. Damals heißt sie noch Hella Markowsky. Ihre Mutter Martha ist Deutsche, ihr Vater Paul deutscher Jude. Nechama und ihre Geschwister werden jüdisch erzogen. An Feiertagen wie Pessach kommt die ganze Familie mit vielen Tanten und Onkeln zusammen.
Nechama und ihre Schwester Rita besuchen die Jüdische Schule in Königsberg, die sich in der prächtigen Synagoge der Stadt befindet. Sie lernen dort Hebräisch und haben Spaß daran, Tänze aufzuführen. Am Wochenende unternimmt die Familie öfter Ausflüge: Etwa ans Meer, in das Ostseebad Cranz.
1933 übernehmen die Nationalsozialisten die Macht. Nechama versteht nicht, warum andere Kinder und Erwachsene sich ihr gegenüber plötzlich anders verhalten.In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 sieht Nechama die schöne Synagoge ihrer Heimatstadt brennen. Angehörige der SS hatten sie angezündet. Während des »Novemberterrors«, dem sogenannten »Novemberpogrom« bzw. der »Kristallnacht«, kommt es im ganzen Deutschen Reich zu Anschlägen und Brandstiftungen auf jüdische Geschäfte und Synagogen.
»Wir stürzten zum Fenster und sahen, wie die Neue Synagoge in der Lindenstraße, in der doch auch unsere Schule war, in Flammen stand. Kinder schrien auf der Straße. Sie hatten im Jüdischen Waisenhaus, in einem Nebengebäude der Synagoge, ihr Zuhause. Von SA-Leuten waren sie in Nachthemden und barfuß in die Novembernacht getrieben worden.« [aus: Nechama Drober: »Ich heiße jetzt Nechama. Mein Leben zwischen Königsberg und Israel«, herausgegeben von Uwe Neumärker, 3. Auflage, Berlin, 2015. S. 31f.]
Ihr Vater wird von der SA verhaftet, die Wohnung durchsucht. Daraufhin müssen die Markowskys umziehen: Von nun an lebt die Familie in einem einzigen Zimmer, die Wohnung teilen sie sich mit vielen anderen jüdischen Menschen.
Der Novemberterror war nur der Anfang: Juden werden zunehmend verfolgt und ausgegrenzt. Nechamas Vater kann seinen Beruf als Vertreter nicht mehr ausüben, stattdessen muss er Zwangsarbeit in einem Papierspeicher leisten. Ab 1941 muss Nechama in der Öffentlichkeit den gelben Stern tragen. Sie darf auch nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Trotzdem macht sie noch einen Ausflug an die Ostsee mit ihren Tanten und einem Onkel.Ein Jahr später wird die Jüdische Schule, die Nechama und Rita besuchen, geschlossen. Sie müssen jetzt ebenfalls Zwangsarbeit leisten: Erst in einer Wäscherei, dann in der Seifenfabrik. Es ist harte körperliche Arbeit, 10 Stunden am Tag.
Die große Deportation
Die Markowskys haben große Angst, ebenfalls bald deportiert zu werden. Um sich abzulenken, tanzen und musizieren sie oft zusammen. Nechama geht auch ins Kino und baden, obwohl ihr das eigentlich schon verboten ist. Dafür nimmt sie den gelben Stern ab und versteckt ihn. Das war sehr gefährlich, denn den Stern musste sie in der Öffentlichkeit jederzeit tragen.In einer Nacht Ende August 1944 wird Nechama von Lärm geweckt: Königsberg wird bombardiert. Der Familie gelingt es, den Bomben zu entkommen: »Die Flugzeuge flogen niedrig und gaben Schüsse auf die Menschen ab. Wir versteckten uns so schnell, wie es uns möglich war, in einem Gebüsch. Gegen Morgen wurde es ruhiger, das Brummen der Flugzeuge war nicht mehr zu hören. Die Stadt brannte lichterloh und Häuser stürzten ein. Wir dachten an unsere Freunde. Ob sie sich auch hatten retten können?« [aus: Nechama Drober: »Ich heiße jetzt Nechama. Mein Leben zwischen Königsberg und Israel«, herausgegeben von Uwe Neumärker, 3. Auflage, Berlin, 2015. S. 54].
Am 28. Januar 1945 trifft die Rote Armee in der Nähe von Königsberg ein. Die Soldaten erschießen wahllos Menschen. Alle Frauen und Mädchen werden von ihnen in einen Stall gesperrt und vergewaltigt – so auch Nechama. Mehr als einmal entkommen sie knapp dem Tod. Nechama und ihrer Familie wird nicht geglaubt, dass sie Juden seien: Die russischen Soldaten wollen sie erschießen. Erst als ihr Vater das jüdische Glaubensbekenntnis Schma Israel aufsagt, werden sie dank eines jüdischen Offiziers verschont.
Unter russischem Kommando ergeht es ihnen sehr schlecht: Sie leiden unter Hunger und Kälte, müssen viele Tage und Nächte zu Fuß laufen. Sie schlafen in Scheunen auf Bauernhöfen und müssen dort Leichen vergraben. Alles, was sie besitzen, nehmen die Soldaten ihnen weg. Sie zerreißen Familienfotos vor ihren Augen. Nechama schafft es, ein Foto von ihrer Mutter und ihrem Bruder Denny sowie ihren gelben Stern zu retten.
Am 28. Februar 1945 muss die Familie sich vom Vater verabschieden. Ihnen wird gesagt, dass alle Männer zum »Brückenbau« eingezogen werden. Erst viel später erfährt Nechama, dass ihr Vater stattdessen in ein sibirisches Kriegsgefangenenlager kommt. Sie erinnert sich: »Die Momente des Abschieds stehen mir vor Augen, als ob es gestern gewesen wäre. Wir standen am Fenster und winkten. Papa drehte sich noch einmal um. Wir sahen sein müdes, trauriges Gesicht. Es war ein Nimmerwiedersehen, ein Abschied auf ewig.« [aus: Nechama Drober: »Ich heiße jetzt Nechama. Mein Leben zwischen Königsberg und Israel«, herausgegeben von Uwe Neumärker, 3. Auflage, Berlin, 2015. S. 61]
Die nächsten Monate müssen Nechama, Rita, ihre Mutter und ihr Bruder Denny arbeiten: Erst dreschen sie Getreide, dann räumen sie die Straßen von Königsberg, das durch die Bombardierungen in Trümmern liegt. Dort suchen sie auch nach Nechamas Vater und anderen Bekannten. Sie bekommen etwas Brot, aber das reicht lange nicht. Schon nach ein paar Monaten sind sie alle abgemagert. Nechama ist jetzt die einzige, die überhaupt noch arbeiten kann. Im August 1945 verhungert Nechamas Mutter, kurz danach Denny. Rita und sie sind jetzt ganz auf sich allein gestellt.
Um nicht mehr Hunger leiden zu müssen, verlassen Nechama und Rita im April 1946 Königsberg und fliehen mit dem Zug nach Litauen. In Kaunas arbeitet sie als Dienst- und Kindermädchen bei mehreren jüdischen Familien, die den Holocaust überlebt hatten. Doch sie wird sehr schlecht behandelt: Als Deutsche ist sie automatisch eine Feindin. Sie wird sogar als »Faschist« beschimpft. Dass Nechama als Jüdin auch von den Nationalsozialisten diskriminiert und verfolgt wurde, wird nicht anerkannt. Geld bekommt sie auch nicht für ihre Arbeit.Nechama lernt Samuel, genannt Schmuel, kennen, den sie später heiratet. 1949 ziehen sie in seine Heimatstadt Kischinew in Moldau, später kommt Rita nach. Noch im selben Jahr erreicht die Schwestern eine Nachricht: Ihr Vater lebt noch, aber in Westdeutschland, und sucht seine Kinder! Doch weil sie nun in der Sowjetunion leben, dürfen sie nicht ausreisen, um ihn zu besuchen. Sie können ihm nicht einmal einen Brief schicken, da die Post überwacht wird.
In Kischinew fühlt sich Nechama nicht wohl. Sie weiß, dass sie als Deutsche nicht akzeptiert wird und gibt sich daher als Litauerin aus. Sie schuftet hart in verschiedenen Fabriken, unter Anderem muss sie mt Rita zusammen Obstkisten ausladen, sortieren und wieder einladen.
Zusammen mit ihrem Mann bewohnt sie ein einziges Zimmer, ohne Küche. Mit der Geburt ihrer beiden Söhne Nissel (Numa) und Eduard (Edik) in den 1950er Jahren werden die Lebensumstände noch schwieriger. Sie sind sehr arm. Zeitweise hört Nechama auf zu arbeiten, als sie keinen Krippenplatz findet und sich um ihren Sohn kümmern muss.
Was wurde aus Nechamas Vater?
Nechamas Vater ist schon 1958 gestorben. Rita und Nechama hatten keine Möglichkeit, ihn vor seinem Tod noch einmal zu sehen. Sie wussten auch lange nicht, wie es ihm in all den Jahren zuvor ergangen war. Erst 1989 finden die beiden heraus, dass er nach seiner Rückkehr aus Sibirien in Hamburg lebte und erneut heiratete, und können sein Grab besuchen.
1990, im Alter von 63 Jahren, wandert Nechama schließlich nach Israel aus, zusammen mit ihrem Sohn Edik, ihrer Schwester Rita und deren Familien. Auch Schmuel, von dem sie inzwischen geschieden ist, kommt mit. Sie wollte eigentlich lieber nach Deutschland – ihre Heimat – auswandern, aber ihr Antrag wird ohne Begründung abgelehnt. Nechama beginnt, sich für die Erinnerung an den Holocaust einzusetzen. Verschiedene Reisen führen sie in ihre Heimatstadt, um der jüdischen Opfer zu gedenken. Außerdem begleitet sie den Wiederaufbau der Neuen Synagoge, die 1938 zerstört wurde. 2011 weiht sie eine »Mahntafel« für die Opfer der großen Deportation in Königsberg ein. Ein Jahr später erscheint eine Neuausgabe ihrer Biographie unter dem Titel: »Ich heiße jetzt Nechama. Mein Leben zwischen Königsberg und Israel« bei der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. 2014 wird ihr für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Nechama ist ihrer Heimatstadt am Pregel sehr verbunden. Auf die Frage, was Heimat für sie sei, antwortet sie: »Heimat, Heimat, das kann man nicht erklären, das fühlt man! Das Gefühl von Heimat, das hatte ich nur in Königsberg!«
Am 9. August 2023, eine Woche vor ihrem 96. Geburtstag, verstarb Nechama Drober in Israel.